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Rückkehr nach Raccoon City in „Resident Evil 2“

Empfehlung Screenshot Capcom Screenshot

Der Videospielklassiker Resident Evil 2 ist als Neuauflage erschienen mit zeitgemäßer Grafik und beeindruckender Atmosphäre, aber auch einigen kleineren Schwächen.

Feuilletonistischer Artikel und wissenschaftliche Rezension

Resident Evil ist mittlerweile etablierter Teil der Populärkultur. Das liegt zum einen an den beliebten Videospielen und zum anderen an den Verfilmungen mit Milla Jovovich aus der Feder von Paul W. S. Anderson. Besonders die actionorientierten Bombastfilme im Stil großer Blockbuster haben zur Bekanntheit der Marke Resident Evil in der breiten Masse beigetragen - wenngleich es sich dabei eigentlich um den amerikanischen Titel der Serie handelt, die im Original den Namen Biohazard trägt. In Japan ist das Remake von Resident Evil 2 bereits am Titel vom Original unterscheidbar, denn dieses ist dort als Biohazard RE2 benannt. International lautet der Titel des Spiels Resident Evil 2, genauso wie beim ursprünglichen Spiel von 1998.

RE2R DunkelheitLaut Alexander Schlicker zeichnet sich Survival-Horror „durch seine Variabilität“ als Genre aus, „die es erlaubt, sowohl Terror als auch Horror medienspezifisch auf verschiedenen Ebenen umzusetzen“ (Schlicker 2010: 84). Das Original von Resident Evil 2 kann unter Berücksichtigung dieser Definition als bisheriger Schaffenshöhepunkt von Capcom im Genre des Survival-Horrors betrachtet werden, da in diesem Spiel Atmosphäre und spürbarer Überlebenskampf der Spielfigur in einer apokalyptischen Welt im Mittelpunkt stehen, ohne dabei den Fokus zu verlieren und zu einer plumpen Actionerfahrung mit Horrorelementen verflacht. Letzteres geschieht in fast allen „Resident Evil“-Spielen, die diesem Glanzpunkt der Videospielgeschichte folgen. Selbst im neuesten Teil der Hauptserie (Resident Evil VII: Biohazard) wird ab einem gewissen Punkt düstere Horroratmosphäre gegen Spektakel und Action eingetauscht, die lediglich mit den zuvor etablierten Horrorelementen gespickt wird und dadurch an Glaubwürdigkeit einbüßt und somit qualitativ nachlässt, zumindest auf einer narrativ-inszenatorischen Ebene (vgl. Skolnick 2014: 73-91; Heuer 2018). Insofern kann man einem Remake von Resident Evil 2 kritisch gegenüberstehen.

Resident Evil 2: Original und Remake

Im Remake ist vieles anders. Eine der auffälligsten Veränderungen ist die Zentrierung der Kamera, die nun immer der Spielfigur folgt. Hierbei wird über die rechte Schulter hinweg agiert, als klassischer Third-Person-Shooter. Allein durch diese Veränderung ist eine andere Inszenierung notwendig. Wo früher durch die feststehende Kameraperspektive ständig eine beständige Ungewissheit bei Spielenden aufrechterhalten wurde, muss nun eine andere Art zur Schreckensinszenierung gefunden werden. Trotz dieser bedeutenden Veränderung fühlt sich das Remake von Resident Evil 2 ebenso schaurig, düster und bedrohlich an, wie es die Spielumgebung in der Vorlage tat. In dieser Hinsicht ist das Remake sehr gelungen. Großen Anteil an der Atmosphäre schafft die Sound-Gestaltung. Das Spiel kann nun in binauralem Umgebungston gespielt werden, was auf einem normalen Kopfhörer so wirkt, als ob der Ton wirklich räumlich wäre und zwar dergestalt, dass alle Umgebungsgeräusche so simuliert werden, als ob Spielende durch die Ohren der Spielfigur hören würden. Hier punktet das Remake und überzeugt mit einer wirklich zeitgemäßen Inszenierung über den Hörsinn.

Was ist anno 2019 zu erwarten?

Wer das Original zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung gespielt hat, wird im Remake einige Unterschiede feststellen. Allerdings – und das kalkuliert Capcom offenbar ein – hat der Nebel der Zeit einige Erinnerungen an eine Spielerfahrung von vor mehr als 20 Jahren verschlungen. Derweil erfreut man sich schon an der Grafik und der Spielumgebung, die viele Orientierungspunkte anbietet, um sich an Früher erinnern zu können. Es gibt jedoch sehr viele Veränderungen, besonders in der Inszenierung, dem Spielaufbau und den Rätseln innerhalb der Spielwelt. Der Ablauf der Geschichte wirkt entschleunigt und die Begegnungen mit Nebenfiguren sind verändert. Dadurch profitieren einige Figuren wie etwa der Polizist Marvin Branagh, der im Original nach einer kurzen Begegnung zum Zombie mutiert und dann aus dem Weg geräumt werden muss. Im Remake wird die Figur sehr viel mehr ausdefiniert. Durch die sympathische Attitüde eines Todgeweihten innerhalb der Apokalypse trägt Marvins Rolle im Remake deutlich dazu bei, empathische Bindungen mit dem Spiel eingehen zu können. Unter anderem dadurch wirkt diese Figur motivierend auf die Spielfigur und, denkt man dies weiter, auch auf die Spielenden (vgl. Fullerton 2014: 36-42). Insgesamt ist die Vermittlung von Emotionen der Figuren erheblich besser umgesetzt, als es im Original der Fall ist, was darin begründet ist, wie sehr sich die Computeranimation und Echtzeitrendering in den vergangenen 21 Jahren weiterentwickelt haben.

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Marvin Branagh in Remake und Original

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Robert Kendo in Remake und Original

RE2R AdaIm Verlauf des Spiels wird ein gegenüber dem Original veränderter Ablauf verschiedener Stationen und Spielbereiche verwendet. Während zu Beginn des Remakes der eindrucksvolle Moment fehlt, in dem Waffenhändler Robert Kendo sein letztes Gefecht gegen die Zombies austrägt, wird auch diese Figur im späteren Verlauf des Spiels mit einem deutlich emotionaleren Konflikt konfrontiert, der hierbei mit Feingefühl einen Augenblick voll Verzweiflung inszeniert; sehr pathetisch, aber ohne dabei kitschig oder klischeehaft zu werden. Auch Ada Wong bekommt eine stärkere Einbindung im Spiel und wirkt dadurch nicht mehr wie ein „Klotz am Bein“, sondern ist eine entscheidende Figur für den Spielfortschritt (vgl. Sarkeesian 2017, ab 03:25). Dadurch überwindet das Remake gekonnt die Vorurteile gegenüber weiblichen Nebenfiguren als Rollenmodell einer „Jungfrau in Nöten“, bzw. im Englischen ist dabei die Rede von „damsel in distress“. Alle Figuren wirken ambivalenter als im Original. In dieser Hinsicht ist das Spiel zeitgemäß und inszeniert neben starken Männern, die ebenfalls Momente von Verletzlichkeit durchleiden, auch emanzipierte, selbstständige weibliche Figuren. Besonders hervorzuheben ist hierbei Claire Redfield als handlungsführende Figur der zweiten Kampagne. Sie stellt sich den Schrecken der Zombieapokalypse mit derselben Stärke entgegen, wie Protagonist Leon S. Kennedy in der anderen Kampagne. Auch Ada Wong überrascht gegenüber dem Original durch eine neue Ambivalenz innerhalb ihrer Persönlichkeit. Annette Birkin, die im Grunde das Rollenmodell des verrückten Wissenschaftlers vertritt, wirkt in diesem Spiel ernsthaft, bedrohlich und authentisch wahnsinnig (vgl. Tudor 1989). Dadurch ist auch eine der Antagonistinnen deutlich breiter aufgestellt, als es im Original der Fall ist. Zudem werden die weiblichen Figuren nicht mehr so stark als „eye candy“ (Augenschmaus) inszeniert, was auch den Thesen des „male gaze“ von Laura Mulvey entgegensteht (vgl. Mulvey 1999). Wenngleich Ada Wong ab einem bestimmten Moment nicht mehr in einem Trenchcoat herumläuft, sondern in einem der Situation unangemessen erscheinendem roten Kleid. Allerdings haben die Entwickler sich weitgehend an der Kleidung der Spielfiguren im Original orientiert, insofern kann dies im Kontext des Remakes auch als ein Erkennungselement für wiederkehrende Spielende gedeutet werden.

Grafik und technische Schwierigkeiten

Optisch ist Resident Evil 2 wahrlich gelungen. Resident Evil 2 ist in der RE Engine umgesetzt worden, die bereits bei Resident Evil 7 und Resident Evil: Revalations 2 zum Einsatz gekommen ist. Statt vollständig erleuchteter Räume und Gänge wie im Original, ist hier die Dunkelheit vorherrschend. Eine Taschenlampe mit ihrem begrenzten Lichtkegel dient in vielen Spielbereichen als einzige Leuchtquelle. In der ersten Fassung des Spiels – damit ist die Spielversion am Tag der Veröffentlichung gemeint – funktioniert das Echtzeitrendering[i] für die Lichtberechnung in hellen Räumen des Spiels nicht einwandfrei (vgl. Akenine-Möller und Haines 2006: 15-17).

Dabei entsteht eine pixelige Corona um die Spielfigur herum und dunkle Bildartefakte auf den Texturen mit spiegelnden Oberflächen. Hierzu sollen zwei Bilder einen Eindruck dessen geben, was hier schiefläuft. Wenngleich nur ein aufmerksames Auge die Fehler im ersten Bild erkennt, offenbart das Fell des Zombiehundes im zweiten Bild signifikante Fehler.

RE2R Renderfehler

RE2R ClippingFehlerEntweder hat dies noch niemand bemerkt oder es ist Capcom nicht wichtig, dieses Problem zu beheben. Selbst in Beiträgen, die bereits vor der Veröffentlichung Spielsequenzen gezeigt haben, ist dieser Fehler vorhanden, so beispielsweis bei „This Week on Xbox“ vom 24. Januar 2019 (ab 0:43). Selbst in dem unten eingebundenen Gameplay-Trailer von Capcom ist dieser Fehler zu entdecken. Noch gab es keinen Patch, der diesen Fehler korrigiert. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass Zombies im Remake nun auch von Raum zu Raum wandern können und auch auf die Spielfigur reagieren, wenn diese in einer offenen Tür steht. Eigentlich handelt es sich hierbei um ein stimmungsvolles Element, durch das Szenario noch auswegloser scheint. Warum wird das nun hier im Bereich zur Technik erwähnt? Die Programmierung sieht vor, dass die Zombies auf die eben beschriebene Weise auf Spielfiguren reagieren. Allerdings gibt es einige Räume, die von Zombies nicht betreten werden können.Grenzt ein solcher Raum mit Zombies darin direkt an diesen Raum an, dann betritt ihn ein Zombie nicht, sondern läuft gegen eine unsichtbare Wand. Nach dem Schließen der Tür steht der Zombie hinter dieser. Wird die Tür dann erneut geöffnet, geschieht dies nur einen Spalt breit oder der Zombie drückt von hinten gegen die Tür und schließt diese. Zusätzlich entstehen hierbei unästhetische Clipping-Fehler, bei denen ein CGI-Modell (hier der Zombie) teilweise durch ein anderes (hier die Tür) hindurch stößt und der Renderer nicht weiß, welches Objekt korrekt angezeigt werden müsste (Akenine-Möller und Haines 2006: 9-24). Spätestens an diesem Punkt ist die Immersion – wie bereits geäußert besitzt das Spiel eigentlich eine sehr dichte Atmosphäre – gebrochen und man fragt sich, was da los ist und kommt nicht weiter. Dieser Fehler ließ sich wiederholt herstellen, an mehreren Stellen des Spiels. Am Einfachsten gelingt dies allerdings, wenn die Bibliothek von der Haupthalle aus betreten werden soll und dort noch Zombies sind. Licker hingegen verlassen nicht die Bereiche, in denen sie sich befinden. Selbst wenn man ihnen die Türen öffnet, in der Hoffnung sie in einen Raum locken zu können, in den man nicht zurückkehren muss, laufen diese immer gegen eine unsichtbare Wand. Der Tyrant kann einem hingegen durch fast jede Tür folgen und taucht – wie im Originalspiel – ab einem bestimmten Punkt des Spiels überraschend und immer wieder in der Nähe der Spielfigur auf. Dabei verfügt dieser Gegner – der nicht mit Waffen eliminiert werden kann – über eine gut programmierte künstliche Intelligenz und reagiert entsprechend der Fluchtroute der Spielfigur, um diese zu erreichen.

Veränderte Überlebensstrategien

RE2R Kopfab OriginalWer sich munitionssparend durch das Spiel bewegen möchte, hat beim Original Resident Evil 2 immer ein zuverlässiges Kampfmesser an seiner Seite. Das ist in dieser Form nicht mehr vorgesehen, was eine überraschende Veränderung ist. Allerdings ist es nicht nur das Fehlen des Messers, vielmehr ist Nahkampf überhaupt nicht mehr vorgesehen. Selbst Zombies, die am Boden liegen, können nicht mit einem gezielten Tritt erlöst werden. Das war im Original möglich, allerdings nur als Konterreaktion. Die Vernichtung des Zombies sah dort zwar etwas trashig aus, doch es war zweckmäßig. Auch die spezifischen Gegenstände von Claire Redfield und Leon S. Kennedy aus dem Original, ein Dietrich und ein Feuerzeug, sind nicht mehr vorhanden. Auch dieser Entschluss hat weitreichenden Einfluss und verdeutlicht, dass an der Spielmechanik im Grunde alles verändert wurde. Lediglich die Gegner kennt man im Grunde noch von früher, ebenso wie die Nebenfiguren und einige Bereiche der Spielumgebung erinnern sehr stark an das Original. Allerdings ist die Polizeistation weitgehend anders aufgebaut und auch die Rätsel sind zum großen Teil anders als früher, besitzen aber im Grunde denselben Stil wie diese. Im Remake gibt es Kampfmesser, diese sind allerdings als Reaktionsgegenstand für die Nebenhand festgelegt und können nur wenige Male verwendet werden, bevor diese abbrechen. Im Grunde genauso, wie im Remake von Resident Evil für den Game Cube. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad immens, da es – abgesehen von diesen stark begrenzten Gegenständen – keine Möglichkeit gibt Gegner abzuwehren, die einen anfallen. Dafür ist es nun möglich Fenster mit Holzstücken zu vernageln, wodurch die Zombies einige Zeit abgehalten werden. Das spiegelt eine Spielmechanik aus dem Original, wo an einer Stelle Metalljalousien vor Fenstern heruntergelassen werden können. Da Munition in diesem Spiel extrem begrenzt ist und Zombies sehr viel mehr Treffer aushalten als im Originalspiel (bis zu 11 Kopfschüsse aus der Pistole), bleibt Flucht oftmals die einzige Option. Eigentlich wirken Leon und Claire recht wehrhaft, was die Entscheidung der Spieldesigner, auf Nahkampfoptionen weitgehend zu verzichten, nicht im Gezeigten des Spiels rückkoppelt. Dafür gibt es andere Möglichkeiten Kämpfen auszuweichen. Licker haben keine Augen und reagieren nun auf Schall. Gelingt es, ohne Geräusche zu machen, an einem Licker vorbei zu schleichen und dabei nicht in die Reichweite der Klauen dieser Kreatur zu geraten, kann man einen Raum, in dem ein solches Monster lauert, unbeschadet überstehen. Das wird dann zum Problem, wenn noch andere Zombies darin sind oder im schlimmsten erlebten Fall, in einem Raum mit zwei Lickern plötzlich der Tyrant vor einem steht. Wie gesagt, der Tyrant kann nicht getötet werden (im Spielverlauf), weshalb man vor diesem wegrennen muss. Licker springen extrem weit und schnell, was bedeutet, dass eine solche Situation nahezu immer den Tod der Spielfigur nach sich ziehen wird. Glücklicherweise betritt auch der Tyrant nicht alle Räume, sodass nach ein paar Versuchen auch die Laufwege geplant werden können. Gespeichert werden kann nun übrigens (außer im Veteranen-Spielmodus) an jeder Schreibmaschine. Zusätzlich speichert das Spiel automatisch an einigen Punkten, beispielsweise vor der Begegnung mit dem ersten Licker, der vermutlich mehr als 90 Prozent aller Spielenden beim ersten Mal erwischen wird.

RE2R Licker1stEncounter

Erste Begegnung mit einem Licker in Remake und Original

Das Besondere an Remakes

Abgesehen von den Figuren, der Geschichte, die diese erleben, und der Spielwelt (nicht der konkreten Spielumgebung) ist nicht viel übrig von Resident Evil 2 im Remake. Dennoch erinnert das Spiel vom Flair und auch vom emotionalen Empfinden nach sehr stark an Resident Evil 2. Als Remake muss das Spiel über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen, ohne dass dabei die Essenz des Ursprungswerkes zerstört wird. Einer solchen Herausforderung stellen sich nicht viele Videospielmacher und entsprechend relevant ist dieses Spiel auch für die Medienwissenschaft.

Remakes als Werke

Bei Remakes stellt sich immer die Frage nach der Notwendigkeit. Das Phänomen von Remakes findet sich oftmals bei Filmen. In diesem Fall wird der Stoff entweder neu interpretiert, erneut inszeniert, als Hommage eingearbeitet oder aber internationalisiert. Manchmal treffen auf ein Remake auch mehrere dieser Möglichkeiten zu. Bei Filmen scheiden sich die Geister an der Notwendigkeit von Remakes, ebenso bei Büchern[ii] oder generell in nahezu allen medial vermittelten Werken. Eigentlich scheint eine Wiederauflage bestehender Stoffe unnötig; dennoch existieren diese. Ein Remake unterscheidet sich signifikant davon, dass ein bestehendes Muster oder eine prototypische Story zum wiederholten Male aufgegriffen und inszeniert wird. Ebenso unterscheidet sich ein Remake von einer Fortsetzung, unabhängig ob Sequel oder Prequel. Für Remakes gilt, was Filmwissenschaftler Thomas M. Leitch 1990 feststellt: „At first glance, movie remakes – new versions of old movies – may seem no different from other film adaptations of earlier material. But the peculiar nature of the relationships they establish with their earlier models and with their audience makes them unique […]” (Leitch 1990: 138). Diese besondere Beziehung zu bestehenden Werken und damit verbundenen Emotionen der Rezipierenden ist eine Ursache für die grundlegende kritische Haltung vieler Menschen gegenüber Remakes. Zwölf Jahre später unterstreicht Leitch in einem anderen Aufsatz diesen Gedanken und stellt klar: „Only remakes are remakes“ (Leitch 2002: 37). Constantie Verevis stellt in diesem Zusammenhang fest – unter Einbeziehung der Thesen von Michael Druxman –, dass Remakes, neben einer kommerziellen und somit kapitalistisch verankerten Motivation, auch das Begehren eines Schöpfers oder Künstlers („maker’s desire“) existiere, anhand eines bestehenden Stoffes erneut eine (wichtige) Aussage zu vermitteln oder eine modifizierte (ggf. aktualisierte) Version bzw. Fassung zu schaffen, die neue Entwicklungen und Interessensgruppen erreicht (Verevis 2006: 8; Druxman 1975: 20).

Videospiele als Remakes: Resident Evil 2 zeigt, wie es geht

Lange Zeit galt Film als einziges Medium, das Remakes hervorbringt, so zumindest in der Überzeugung von Leitch (vgl. Leitch 1990). Der Diskurs zu Remakes ist sehr stark vom offensichtlichen Remake geprägt und dieses tritt primär im Medium Film in Erscheinung. Dennoch ist besonders das Wiedererschaffen bestehender Werke auch in anderen Formen von Kunst und somit medial vermittelten Werken nachweisbar. Beispielsweise erschuf Johann Heinrich Füssli zwei Versionen seines bekanntesten Gemäldes Der Nachtmahr[iii] (1781 und 1790/91). Im Bereich von Videospielen ist es mittlerweile nicht mehr ungewöhnlich, dass Spiele wiederaufgelegt, neu portiert und angepasst werden.[iv] Oftmals werden Spiele dabei lediglich minimal überarbeitet, die Engine auf eine neue Version gebracht oder auch einfach nur eine Aktualisierung auf eine neue Plattform durchgeführt.[v] Sehr selten werden Spiele wirklich neu geschaffen, so selten, dass dies etwas Besonderes darstellt.

Im Fall von Resident Evil 2 sind es primär technische Schwächen, die den Genuss einschränken. Das neugedachte Spieldesign mit den eingeschränkten Kampf- und Fluchtmöglichkeiten ist herausfordernd. Die narrative Qualität des Spiels wurde auf ein angemessenes Niveau gebracht und auch die inszenatorischen Mittel werden zeitgemäß eingesetzt. Interessant daran ist, dass es Resident Evil 2 gelingt, eine dem Original genuine Spielerfahrung zu gestalten, obwohl Original und Remake sehr unterschiedlich sind. In dieser Form ist Resident Evil 2 ein Beleg dafür, dass ein Remake sinnvoll sein kann. Das Originalspiel ist nicht mehr verfügbar, aus technischer Sicht vollkommen veraltet und findet sich vielleicht noch in der Sammlung einiger Enthusiasten und Fans. Da das Remake einen Eindruck dessen vermittelt, was das Original vermittelt hat, als dieses zeitgemäß war, kann man dem Realisationteam bei Capcom große Anerkennung entgegenbringen. Nun ist ein Meilenstein der Videospielgeschichte im neuen Gewand spielbar, der sowohl die Spielenden begeistern dürfte, die das Original kennen, als auch jene, die erstmals mit dem Inhalt des Werkes in Berührung kommen.

RE2R Kroko

Fazit

Abgesehen von einigen technischen Schwächen ist das Remake zu Resident Evil 2 aus technischer Sicht sehr gelungen. Einige Änderungen der Spielmechanik überraschen und gestalten das Spiel passagenweise anspruchsvoller, als es sein müsste, beispielsweise durch die massive Reduktion von Nahkampf und das Entfernen von Finishing-Moves, um am Boden liegende Gegner endgültig zu besiegen. Dennoch gelingt dem Remake etwas sehr Seltenes, denn es überträgt die Essenz des Ursprungswerks in eine zeitgemäße technische Umgebung. Das Spiel ist in Umfang und Qualität als Tripple-A-Titel einzustufen. Das spiegelt sich auch im Preis, der liegt zur Markteinführung bei ca. 60 Euro. Nur weniges gibt es an diesem Remake zu bemängeln. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Resident Evil 2 denselben Stellenwert für die Spielenden erreichen wird, die das Original 1998 gespielt haben. Das Remake besitzt allerdings das Potential für eine neue Generation von Spielenden eine zumindest sehr ähnliche Erfahrung vermitteln zu können und somit auch für diese Spielenden zu einem besonderen Spiel zu werden.

Endnoten

[i] „Real-time rendering is concerned with making images rapidly on the computer. It is the most highly interactive area of computer graphics. An image appears on the screen, the viewer reacts, and the feedback affects what is generated next. This cycle of reaction and rendering happens at a rapid enough rate that the viewer does not see individual images, but rather becomes immersed in a dynamic process.” (Akenine-Möller und Haines 2006: 1)

[ii] Da Remakes von Büchern sehr selten sind sollen hier Beispiele helfen den Kontext herzustellen: Stolz und Vorurteil <-> Stolz und Vorurteil und Zombies | Die Leiden des jungen Werther <-> Die Leichen des jungen Werther.

[iii] Dieses Gemälde wurde in gewisser Weise verfilmt, als Der Nachtmahr (2015, Regie: Akiz).

[iv] Beispielsweise veröffentlicht Sega in regelmäßigen Abständen komplette Sammlungen ihrer beliebten Videospielklassiker vom Mega Drive.

[v] z. B. Heavy Rain und Beyond: Two Souls von PlayStation 3 auf PlayStation 4 oder die Neuauflage von Batman: Arkham Asylum mit dem Wechsel von Unreal Engine 3 auf Unreal Engine 4.

Literaturverzeichnis

Akenine-Möller, Tomas; Haines, Eric (2006): Real-time rendering. 2. ed., [Nachdr.]. Natick, Mass.: AK Peters.

Braudy, Leo; Cohen, Marshall (Hg.) (1999): Film theory and criticism. Introductory readings. 5. ed. New York: Oxford Univ. Press.

Druxman, Michael B. (1975): Make it again, Sam. A survey of movie remakes. South Brunswick: Barnes.

Forrest, Jennifer; Koos, Leonard R. (Hg.) (2002): Dead ringers. The remake in theory and practice. Albany: State Univ. of New York Press (The Suny series, cultural studies in cinema/video).

Fullerton, Tracy (2014): Game Design Workshop. A Playcentric Approach to Creating Innovative Games, Third Edition. 3rd ed. Natick: CRC Press.

Heuer, Thomas (2018): Das residierende Böse zeigt sich im neuen Gewand. In: Transmedia Storytelling. Marburg: Schüren Verlag (Jahrbuch immersiver Medien, 2017), S. 143–148.

Institut für Immersive Medien (2018): Transmedia Storytelling. Marburg: Schüren Verlag (Jahrbuch immersiver Medien, 2017).

Leitch, Thomas M. (1990): Twice-Told Tales: The Rhetoric of the Remake. In: Literature/Film Quarterly 18 (3), S. 138–149.

Leitch, Thomas M. (2002): Disavowal and the Rhetoric of the Remake. In: Jennifer Forrest und Leonard R. Koos (Hg.): Dead ringers. The remake in theory and practice. Albany: State Univ. of New York Press (The Suny series, cultural studies in cinema/video), S. 37–62.

Mulvey, Laura (1999): Visual Pleasure and Narrative Cinema. In: Leo Braudy und Marshall Cohen (Hg.): Film theory and criticism. Introductory readings. 5. ed. New York: Oxford Univ. Press, S. 833–844. Online verfügbar unter http://www.composingdigitalmedia.org/f15_mca/mca_reads/mulvey.pdf.

Sarkeesian, Anita (2017): The Lady Sidekick (Tropes vs. Women in Video Games). youtube Kanal feministfrequency, 27.04.2017. Online verfügbar unter https://youtu.be/4BrKqEtG-2w?list=PLn4ob_5_ttEaZWIYcx7VKiFheMSEp1gbq, zuletzt geprüft am 28.01.2019.

Schlicker, Alexander (2010): Computerspiel-Horror. Untersuchung zur medialen Codierung des Survival-Horrors in Theorie und Praxis. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.

Skolnick, Evan (2014): Video game storytelling. What every developer needs to know about narrative techniques. Berkeley: Watson-Guptill.

Trailer zu Resident Evil 2 (deutsch)

Infokasten

„Resident Evil 2“ (OT: „Biohazard RE2”)

Director: Kazunori Kadoi, Yasuhiro Anpo

Designer: Hidehiro Goda

Autoren: Noboru Sugimura, Hideki Kamiya (Original)

Produzenten: Yoshiaki Hirabayashi, Tsuyoshi Kanda

Entwickler: Capcom R&D Division 1

Publisher: Capcom

Plattformen: Xbox One, PlayStation 4, Windows PC

Ab 18 Jahren (Kürzungen sind nicht bekannt)

Ab dem 25.01.2019 im Handel auf Disc und digital.

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus den besprochenen Medieninhalten. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amDonnerstag, 18 März 2021 14:35
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Unbestreitbar führt das Internet auch zu positiven Veränderungen. Das Negative besteht meiner Meinung nach darin, dass das Internet zu Oberflächlichkeit verleitet, zu spontanen Reaktionen, hinter denen kein langes Nachdenken steckt: Ich habe etwas gelesen, und sofort twittere ich dagegen oder darüber, und dann womöglich auch noch in falscher Grammatik.“

 

Helmut Schmidt im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo (2012) im Zeit Magazin Nr. 17 vom 19.04.2012, S. 57

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