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Film

Beziehungsdrama / Psychothriller: „What keeps you Alive“

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Heftig, einfühlsam, emotional und sehr spannend: What keeps you Alive zeigt das Können von Colin Minihan als Regisseur und Autor. Ein Psychothriller-Geheimtipp.

Rezension und Einordnung

Die Filme von Colin Minihan sind im Grunde immer auf dem Fantasy Filmfest zu sehen, was eine gewisse Auszeichnung darstellt. Seit dem Erstling Grave Encounters (2011), den er noch gemeinsam mit Stuart Ortiz inszenierte, hat Minihan sich und seinen Stil weiterentwickelt. Minihan und Ortiz bilden gemeinsam ein Duo aus Regie und Autoren und nennen sich The Vicious Brothers. Diese sind neben Grave Encounters auch das Kreativteam hinter Extraterrestrial: Sie kommen nicht in Frieden (2014) und It Stains the Sands Red (2016). Ortiz tritt hierbei allerdings nur noch als Autor in Erscheinung, während Colin Minihan die Regie übernimmt. An What keeps you Alive ist Ortiz nicht beteiligt. Das Drehbuch verfasste Minihan allein, ebenso führte er allein Regie. Seit Extraterrestrial arbeitet Minihan mit der talentierten, aufstrebenden Schauspielerin Brittany Allen zusammen. Sie hatte die Hauptrolle in It Stains the Sands Red inne und auch in What keeps you Alive verkörpert Allen eine der beiden Hauptfiguren.

Handlung und Figuren

WhatKeepsYouAlive4Das Figurenensemble in What keeps you Alive ist übersichtlich. Der Film konzentriert sich auf die Beziehung von Jackie (Hannah Emily Anderson) und Jules (Brittany Allen), die in einem abgelegenen Haus am See ihr einjähriges Ehejubiläum feiern wollen. Das Haus ist umgeben von einem Wald und liegt fernab jeder Zivilisation. Auf der anderen Seite des Sees ist ein weiteres Haus, dort leben Sarah (Martha MacIsaac) und ihr Ehemann Daniel (Joey Klein). Sarah und Jackie kennen sich aus ihrer Kindheit und Jugend, denn Jackie ist in diesem Haus am See aufgewachsen. Als Sarah am ersten Abend plötzlich vor der Tür steht, um nachzusehen, ob an dem Haus alles in Ordnung ist, da sie dort Licht gesehen hat, wartet eine Überraschung auf sie. Hier trifft Sarah Jackie zum ersten Mal seit langer Zeit. Der Begegnung haftet etwas Bedrückendes an, das spürt auch Jules. Kurz darauf werden Geschehnisse aus Jackies Vergangenheit offenbar, die fortan durch Jules Gedanken spuken und sie beginnt daran zu zweifeln, wer Jackie, ihre Ehefrau, eigentlich ist.

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Der Trailer verrät viel über die Geschichte des Films, was dem Werk einiges an Überraschung und Intensität berauben kann; Gleiches gilt für den Klappentext. Nun handelt es sich bei What keeps you Alive um eins dieser Werke, die einen bestenfalls unvorhergesehen treffen sollten. Weil das Werbematerial bereits vieles vorwegnimmt, wird dies an dieser Stelle nicht ausgespart. Wer allerdings einen Film genießen möchte, der seine düstere Wendung langsam und mit viel Fingerspitzengefühl vorbereitet, dem soll geraten sein, erst beim Fazit weiterzulesen und sowohl den Trailer als auch den Infotext zum Film zu ignorieren.

Hintergründe, ästhetische Momente und Musikstücke im Werk (massive Spoiler)

WhatKeepsYouAlive3Jackie wird von Sarah als Meagan begrüßt. Dieser Wechsel des Namens macht Jules stutzig und es wird zunehmend klar, dass Jackie ihre Identität wechselt, da sie ihre Ehepartnerinnen immer wieder durch Unfalltode verliert. Für die Lebensversicherungssummen ist das ein rentables Geschäft. Allerdings ist das nur ein vorgeschobener rationaler Grund, den Jackie sich selbst einredet, um Jagd auf Menschen zu machen. Sie ist gnadenlos, eiskalt und kalkuliert – Liebe existiert für sie nicht. Ohne mit der Wimper zu zucken, stößt Jackie Jules von einer Klippe. Jules überlebt den Sturz allerdings und befindet sich fortan in Lebensgefahr. Das Szenario eskaliert ab diesem Punkt zunehmend, denn so wie sich in Jackie eine skrupellose Killerin verbirgt, so verbirgt sich in Jules eine starke Persönlichkeit mit einem ausgeprägten Überlebenswillen.

WhatKeepsYouAlive5Interessant an dem Film ist zudem, wie der charakterliche Wandel in Jackies Figur langsam angekündigt wird. Zunehmend passen Teile nicht mehr zusammen und aus dem eigentlich klaren Bild wird ein Puzzle. Sehr deutlich wird dies als Jackie abends am Kamin ihre Gitarre greift und den Song „Bloodlet“ von Munroe anstimmt. Die erste Strophe lautet: „there's a demon inside bloodlet it out oh, bloodlet it out til you love me again”. Dieser Text spiegelt das Verhalten von Jackie im Film, da sie immer wieder geliebte Menschen tötet, oder klarer formuliert, deren Sterben genießt, da es die einzigen echten Emotionen zu sein scheinen, die die Psychopathin empfinden kann. Für den Film wurde „Bloodlet“ zudem von Brittany „AUDREY“ Allen gecovert, in einer deutlich düsteren Version, die im Abspann des Films läuft. Während „Bloodlet“ im Grunde für die inneren Konflikte der Figur Jackie stehen könnte, schafft ein weiteres Lied innerhalb des Werkes eine Rahmung: „Anthem for the Year 2000“ von Silverchair. Diesen Song hören Jackie und Jules, während sie zu dem Haus fahren, und diesen Song spielt eine der beiden, um den Showdown vorzubereiten. Musik wird in diesem Film also dezent eingesetzt und immer mit bedacht.

WhatKeepsYouAlive2In einer der ästhetischsten Sequenzen des Films wird das Haus in Schwarzlicht getaucht, nachdem dort ein mehrfacher Mord stattgefunden hat. Dabei wird das Blut, beziehungsweise die Verunreinigungen auf dem Boden, an den Wänden und auf der Haut deutlich sichtbar. In dieser Szene wird zudem gezeigt, wie Jackie am Flügel sitzt und Beethoven spielt. Die Szene ist sehr gelungen und ein emotionaler Glanzmoment, an dessen Ende die Katharsis in Jules Charakter steht. Von hier an schlägt der Film nochmal eine etwas andere Richtung ein. Ohnehin ist die Variabilität innerhalb der Inszenierung des Überlebenskampfes auf der einen und der Jagd auf der anderen Seite eine der großen Stärken von What keeps you Alive. Ein solches Szenario kann schnell monoton werden oder sich in Klischees verlieren, doch beides wird hier nicht nur vermieden, es wird aktiv dagegen an gearbeitet.

Brittany Allen hat neben ihrer schauspielerischen Leistung auch den Soundtrack zu What keeps you Alive beigesteuert. Die junge Kanadierin liefert hier die beeindruckendste Performance ihrer noch jungen Karriere. Liebe, Angst, Hass, Wut oder Verzweiflung, alle Emotionen wirken authentisch an Jules, die hier von Brittany Allen verkörpert wird. Hannah Emily Anderson als Jackie steht dem allerdings in nichts nach, wobei die emotionale Palette bei Jackie nicht ansatzweise so breit aufgestellt ist, wie im Fall der verwirrten und verzweifelten Ehefrau Jules, die nicht weiß, wie ihr geschieht. Die beiden Schauspielerinnen machen diese Tragödie zu einer besonderen Erfahrung, da sie aus ihren Figuren alles rausholen, was möglich ist. Die beiden waren übrigens bereits zuvor gemeinsam in einem Film zu sehen, in Jigsaw. Dort allerdings in zwei unterschiedlichen Erzählsträngen, sodass die beiden nie gemeinsam in einer Szene zu sehen waren.

Fazit

Colin Minihan hat einige interessante Werke gemacht. Immer wieder werden Genres oder Motive von ihm bearbeitet, die man dachte schon unzählige Male gesehen zu haben. Allerdings schnappt er sich immer ein abgenutztes Genre und erweitert dies um mindestens eine gute Idee, eine zentrale Neuerung. Bei What keeps you Alive gelingt das mit dem Psychokiller-Motiv. Doch tatsächlich ist dieser Film auch der eigenständigste, den Minihan bisher gemacht hat. Der Fokus auf Darsteller und deren Figuren tut dem Werk sehr gut. Im Vergleich zu den andere Werken, orientiert er sich weg von Effekten (Extraterrestrial) oder plumpen und eindimensionalen Figuren (It Stains the Sands Red), billigen Lachern (beide) oder Jump-Scares (Grave Encounters). Minihan gelingt es mit What keeps you Alive einen erwachsenen, durchweg atmosphärischen, düsteren und charaktergetriebenen Horrorfilm zu inszenieren. Das haben nur wenige Regisseure in dieser Qualität geschafft. What keeps you Alive ist aber auch ein Film, der wieder anders ist als alle anderen Werke des Regisseurs zuvor. Man darf somit gespannt sein, in welche Richtung sich das nächste Werk entwickeln wird.

Ästhetisch gestaltet, interessant geschrieben und sehr spannend war What keeps you Alive eines der Highlights auf dem Fantasy Filmfest 2018. Beeindruckende Performances von Brittany Allen und Hannah Emily Anderson machen diesen Überlebenskampf zu einem beeindruckend ästhetischen und heftigen Horrorfilm.

Trailer zu What keeps you Alive

Infokasten

„What keeps you Alive“

Regie: Colin Minihan

Drehbuch: Colin Minihan

Produktion: Digital Interference Productions

Verleih: Tiberius Film

Laufzeit: 98 Minuten (uncut)

Kanada | 2018

Veröffentlichung: Ab dem 03.01.2019 im Handel auf DVD, Blu-ray und Video-on-Demand.

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Letzte Änderung amMontag, 25 März 2019 17:36
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Der Traum ist ein zweites Leben. Ich habe nie ohne zu schaudern durch die Elfenbein- oder Horntore dringen können, die uns von der unsichtbaren Welt scheiden. Die ersten Augenblicke des Schlafes sind das Bild des Todes. Eine nebelhafte Erstarrung ergreift unsern Gedanken, und wir können den genauen Augenblick nicht feststellen, wo das Ich in einer andern Form die Tätigkeit des Daseins fortsetzt. Ein ungewisses unterirdisches Gewölbe erhellt sich allmählich und aus dem Schatten der Nacht lösen sich in ernster Unbeweglichkeit die bleichen Figuren, welche den Vorhof der Ewigkeit bewohnen. Dann nimmt das Bild Form an, eine neue Helligkeit erleuchtet diese Erscheinungen in wunderlichem Spiel: - es öffnet sich uns die Welt der Geister.“

– Gérard de Nerval in „Aurelia oder Der Traum und das Leben

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