„Luz“: Twisted Mind-Fuck aus Deutschland
- geschrieben von Thomas Heuer
- Publiziert in Film
- Schriftgröße Schriftgröße verkleinern Schrift vergrößern
Ein ästhetisch inszenierter, intensiver und gelungener psychologischer Horrorfilm aus Deutschland existiert nicht? Das mag bis 2018 gestimmt haben, nun nicht mehr.
Rezension
Das Langfilm-Debüt von Tilman Singer ist ungewöhnlich. Ein Film, der so gar nicht in die deutsche Filmlandschaft passen will. In den vergangenen Jahren machen immer wieder einzelne Werke Hoffnung, dass es um den abseitigen deutschen Genrefilm nicht so schlecht steht, wie man befürchten muss. Diese Vermutung untermauern nicht nur die sehenswerten Arbeiten einiger Filmhochschulabsolvierenden in den letzten Jahren (Hagazussa, Die Farbe, Der Samurai), sondern auch die Werke mancher unabhängiger Filmemacher (Figaros Wölfe, Der Bunker, Schneeflöckchen, Ostzone) und besonders im Segment des Trashfilms Crowd- bzw. Community-Projekte (Skate Cop, Pentaquad), die einen Wandel in der deutschen Filmlandschaft andeuten. Das geht sogar soweit, dass der Tartort sich als Genrespielwiese anbietet ("Fürchte Dich"). Dieser Trend setzt sich auch mit Luz fort. Abseits der Sehgewohnheiten wagt dieser Film etwas Anderes, Intensives und dadurch Spannendes.
Die Taxifahrerin Luz (Luana Velis) spaziert eines Nachts in eine Polizeistation. Die Exposition ist ruhig, die Kamera blickt statisch auf die Eingangshalle des Reviers. Auf der linken Seite sitzt ein Beamter und arbeitet hinter seinem Schreibtisch, in der Mitte offenbart sich ein entfernt liegender Durchgang, durch den eine fluchtpunktartige Ästhetik entsteht, und auf der rechten Seite des Bildes sind die Eingangstür und ein Getränkeautomat. Das Sounddesign ist elektronisch, mal pulsierend, mal ruhiger, aber stets treibend. Nach einiger Zeit betritt Luz die Szene, ohne ein Wort zu sagen. Der Polizist setzt seine Arbeit fort, scheinbar ohne Kenntnis von der jungen Frau zu nehmen. Plötzlich schreit Luz den Polizisten an. In Spanisch und ohne ersichtlichen Grund. Ihre Worte sind angelehnt an das „Vater unser“ – dem zentralen Gebet der christlichen Kirche – jedoch in einer pervertierten Variante.
Andernorts in einer Bar: Ein Psychologe (Jan Bluthardt) wird von einer Frau (Julia Riedler) angegraben, die sich dafür interessiert, wie die psychologische Störung ihrer Freundin Luz einzuordnen ist. Derweil wird viel getrunken und geschnupft, was der Frau nichts auszumachen scheint, den Polizeipsychologen jedoch – wie kurze Zeit später klar wird – ziemlich heftig trippt. Zwischen den Beiden schwingt mehr als die gesprochenen Worte, mehr noch als der Alkohol und die Drogen – doch es bleibt unklar, was genau.
Plötzlich werden die beiden Handlungsebenen verbunden und dann schlägt der Film spürbar ins Phantastische, gar Übernatürliche um, was bereits in der Bildgestaltung und dem Sounddesign angekündigt wird. Es folgt ein heftiger Trip, der Zuschauern einiges abverlangt und dabei vieles verschleiert erzählt oder lediglich andeutet, sodass die Geschichte auch im Kopf des Rezipierenden entsteht und sich teils emergent selbst formt, entlang dessen, was gegeben bzw. angeboten wird. Dies geschieht entlang einer Befragung von Luz auf dem Polizeirevier, die dort von dem Psychologen hypnotisiert wird. Dadurch wird jedoch Etwas die Tür geöffnet, das fortan entfesselt wird. Getragen wird dies von stilisierten Bildern, dem Zusammenspiel von Metaphern und cleverer Bildgestaltung in Kombination mit einer exzellenten Klangkulisse, die im Kino wahrlich zur Geltung gelangt.
Luz ist eine cineastische Erfahrung, ein Experiment und zugleich eine intensive Reise in die filmisch dargebotene Hölle. Das Werk ist außergewöhnlich und handwerklich sehr gelungen. Im Gespräch nach dem Film merkt man dem Regisseur die Begeisterung für das Filmemachen an, was sich auch in der Qualität des Werkes spiegelt.
Trailer zu Luz.
Infokasten
„Luz“
Regie: Tilman Singer
Drehbuch: Tilman Singer
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln, Film- und Medienstiftung NRW, Yellow Veil Pictures
Verleih: Bildstörung/ Drop-out cinema
Laufzeit: 70 Minuten (uncut)
Deutschland | 2018
Veröffentlichung: Kinostart in Programmkinos über Drop-out Cinema.
Bereits bekannte Vorführungen 2019
Bamberg, Lichtspiel: "Luz" ~ 21.03.2019
Berlin, Kino in der Brotfabrik: "Luz" ~ 21.03.2019
Berlin, Kino Zukunft: "Luz" ~ 21.03.2019
Bremen, City46: "Luz" ~ 09.03.2019
Bremen, Cinema im Ostertor: "Luz" ~ 14.04.2019
Kiel, Traumkino: "Luz" ~ 21.03.2019
Leipzig, Luru-Kino: "Luz" ~ 21.03.2019
Mannheim, Cinema Quadrat: "Luz" ~ 21.03.2019
München, Werkstattkino: "Luz" ~ 21.03.2019
Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.
- Phantastik
- Horror
- psychologischer Horror
- Dämon
- Besessenheit
- Rezension
- Deutschland
- Tilman Singer
- dropout cinema
- mehrere Erzählebenen
- Mind Fuck
- ästhetisch
- Macht und Ohnmacht
- Kontrolle
- kollidierende Welten
- Kulturelle Referenz
- Alkohol
- Drogen
- Mann und Frau
- besondere Bildsprache
- besondere Filmmusik
- Electro
- intensiv
- Thriller
- Debüt
- Fantasy Filmfest
- Fantasy Filmfest 2018
- Mondo Grindhouse
- Berlinale
Thomas Heuer
Dr. phil. Medienwissenschaft
Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer
Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie
Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik