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Film

1. Schocktober: „SAW“ (2004)

Filmstill (Ausschnitt) Twisted Pictures Filmstill (Ausschnitt)

Das Filmdebüt von James Wan und Leigh Whannell ist ein Meilenstein des modernen Horrorfilms. Nicht nur das, er machte auch extremen visuellen Horror massenkompatibel.

Rezension und Einordnung

Zwei Männer erwachen in einem heruntergekommenen Badezimmer. Beide sind mit einem Fuß angekettet. Zwischen den beiden, in der Mitte des Raumes, liegt ein Toter mit einer Kopfwunde. Ohne eine weitere Exposition wirft Saw die Rezipienten in diese Ausgangslage, als stumme Zeugen dessen, was folgen wird. Obwohl Adam Faulkner-Stanheight (Leigh Whannell) und Dr. Lawrence Gordon (Cary Elwes) sich nicht kennen, scheint irgendetwas die Leben der beiden unterschiedlichen Männer zu verbinden. In der Hand des Toten finden die beiden ein Diktiergerät, auf dem eine Nachricht gespeichert wurde. Aus dieser geht hervor, dass sich Adam und Dr. Gordon – so werden sie von der verzerrten Stimme auf dem Tonband bezeichnet – in einem Spiel befinden, das nur einer der beiden gewinnen kann. Ziel ist es, bis zu einer bestimmten Uhrzeit das Gegenüber umzubringen.

SAW Adam

Adam (Leigh Whannell) ist mit der Situation überfordert.

SAW David Tapp (Danny Glover)Saw aus dem Jahr 2004 basiert auf dem gleichnamigen Kurzfilm aus dem Jahr 2003. Dieser knapp zehn minütige Film findet sich in einer abgewandelten Version, mit anderen Darstellern und anderen Rollen innerhalb der Szenen, im Spielfilm als eingebettete Sequenz wieder. Die Komplexität der Narration, die verschachtelten Rätsel und der krasse Ausweg aus diesem Folterspiel wird im Kurzfilm hingegen lediglich angedeutet. Denn die beiden unfreiwilligen Kontrahenten können diesen Wettkampf um das Überleben von ihnen nahestehenden Menschen oder sich selbst ebenfalls beenden, wenn einer von ihnen mit einer Knochensäge den eigenen Fuß oberhalb der Kette entfernt. Eine solch explizite Form einer Zurschaustellung von Selbstverstümmelung hat es bis zu Saw nicht im massenkompatiblen Kino gegeben. Der Film selbst ist ohnehin ein Überraschungserfolg und keineswegs auf den Massenmarkt hin konzipiert. Allerdings ist mit Danny Glover, der einen gealterten Polizisten auf der Jagd nach dem Täter hinter diesem und anderen grausamen Folterspielen verkörpert, auch ein sehr bekannter Hollywood-Darsteller im Cast des Films vorhanden. Der Film spricht nicht nur durch Glover, sondern auch durch die Besetzung von Ken Leung und Cary Elwes ein cineastisch affines Publikum an, denn auch diese beiden Schauspieler haben bereits zuvor große Rollen in bekannten Filmen besetzt.

Das Drehbuchdebüt von Leigh Whannell hat es in sich. Eine komplexe Erzählung, die auf mehreren Erzählebenen zu dem aktuellen Zeitpunkt führt, an dem Adam und Dr. Gordon sich gegenüberstehen. Parallel dazu wird die Geschichte um Detective Tapp (Danny Glover) und Detective Sing (Ken Leung) präsentiert, die dem Täter dicht auf den Fersen zu sein scheinen. Aus dieser Form der visuellen Inszenierung entsteht auf dramaturgischer Ebene eine gewisse Hoffnung für Adam und Dr. Gordon. Was hier narrativ und dramaturgisch geboten wird, ist wahrlich großartig und verdeutlicht, warum James Wan nach diesem Regiedebüt 15 Jahre später einer der gefragtesten Regisseure in Hollywood ist. Gleiches gilt ebenfalls für Leigh Whannell, der zunächst als Autor und mittlerweile auch als Regisseur gefragt ist. Im Fall von Saw haben sich zwei Wunderkinder des Filmschaffens zusammengefunden und ein Werk geschaffen, das sowohl für das Genre Thriller als auch für den Horrorfilm insgesamt eine wirkliche Neuerung geschaffen hat.

SAW Geisel Zep

Dr. Gordons Ehefrau wird zum Element des Spiels, indem sie als Geisel genommen wird.

Tragisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass die meisten Kritiker das Werk auf die Selbstverstümmelung und sonstige Gewaltpräsentationen in diesem Film reduzieren. Dies geht soweit, dass der amerikanische Journalist David Edelstein im New York Magazin jenen Begriff schuf, der zur Bezeichnung eines neuen Subgenres des Horrors wurde und intendiert abwertend konnotiert ist: Torture Porn.

In seiner Ausführung schert Edelstein verschiedenste Filme unterschiedlicher Regisseure und Genres über einen Kamm und spricht den Werken nicht nur ab, künstlerisch etwas aussagen zu wollen, er geht sogar so weit zu behaupten, dass es sich lediglich um die Inszenierung von grausamer Folter und Gewalt handle, mit dem Zweck sich daran zu ergötzen. Dass sich solche Werke in einem Multiplexkino finden, in dem traditionell Mainstream-Filme, also massenkompatible Werke ohne Tiefgang, gezeigt werden, stellt für David Edelstein ein großes Problem dar.

Der Begriff Torture Porn ist nicht korrekt, da dieser eine sexuell motivierte Lust am gezeigten Grauen impliziert. Es sind jedoch primär die ethisch komplexen Konflikte und deren Auflösungen, die Werke wie Saw zu etwas Besonderem machen. Es ist nicht auszuschließen, dass es Zuschauer gibt, die sich diese Werke lediglich aufgrund der präsentierten Gewalt ansehen und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Drehbücher zu den Fortsetzungen von Saw, spätestens ab dem vierten Teil, sehr stark von der Inszenierung eines Schrecken-Spektakels durch immer krassere Folterspiele geprägt sind. Dennoch sind es nicht diese Sequenzen allein, die das Werk ausmachen. Im Fall von Saw selbst, also dem ersten Film für sich genommen, ist es die ethische Ambivalenz des Konfliktes, die das Werk antreibt. Die visuelle Gewalt ist hierbei lediglich eines von vielen dramaturgisch motivierten Elementen, um zu verdeutlichen, wie grausam der Täter ist. Damit nicht genug, die Selbstverstümmelung führt zur Auflösung des Konfliktes, es stellt sich somit die Frage, die als eine ethische Grundfrage gesehen werden muss: Wie weit geht ein Mensch, um das Leben eines geliebten Menschen zu retten, und was ist ein Mensch bereit zu tun, um sein eigenes Leben zu bewahren?

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf kann es passieren, dass Saw sich bei erneuter oder erstmaliger Sichtung vollkommen anders anfühlt als zuvor, besonders unter dem Gesichtspunkt, dass der Täter sich selbst als menschliches Korrektiv zu verstehen scheint und die Menschen nur in diese Situationen hineinbringt, weil sie gegen ethische Normen und Grundregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens verstoßen haben. Dieser Aspekt macht den oftmals kritisierten und zu Unrecht von Kritikern zerrissenen Film zu einem Appell und zu einem ethisch-philosophischen Denkanstoß, vielleicht sogar zu einem filmgewordenen Gedankenexperiment.

Trailer zu SAW (2004)

Infokasten

„Saw“

Regie: James Wan

Drehbuch: Leigh Whannell und James Wan

Produktion: Evolution Entertainment, Saw Productions Inc., Twisted Pictures

Verleih: Studiocanal (DVD & BD), Kinowelt (Kino), Lions Gate Films

Laufzeit: 103 Minuten (uncut)

USA 2004

Veröffentlichung: Der Film ist im Handel auf DVD, Blu-ray und als Video-on-Demand verfügbar.

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Letzte Änderung amDonnerstag, 10 Februar 2022 14:46
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Ein Dichter, der sich real auf die Seite des Pazifismus schlägt, ästhetisch aber auf die der Gewalt, befindet sich durchaus nicht in einem Widerspruch.“

– Alban Nikolai Herbst in Schöne Literatur muß grausam sein

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