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Film

„Flesh City“: Mensch-Medien-Verschmelzung

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Es ist der 12. Februar 2019. Es ist Berlinale. Ein Film aus Berlin, über Berlin von einem Berliner Filmemacher feiert seine Weltpremiere, allerdings am anderen Ende der Welt, in Peru.

Rezension und Interpretation

FC 6Manche Werke entziehen sich einer eindeutigen Lesbarkeit und somit auch einer Rezeption zu reinen Unterhaltungszwecken. Flesh City ist ein solches Werk, mit dem vermutlich etwa 99 Prozent aller Zuschauer nicht viel anfangen können werden. Der Film bricht Regeln nach Belieben, jedoch nicht willkürlich. Jene gewohnte filmische Ästhetik und daraus resultierende Sehgewohnheit, zu der wir Menschen von bestehenden Werken hin erzogen werden, ist hier nur im Ansatz zu finden. Das ist eines der Qualitätsmerkmale, die Flesh City zu einer intensiven, bisher einzigartigen Filmerfahrung machen. Regisseur, Autor, Produzent und Schauspieler Thorsten Fleisch arbeitete insgesamt vier Jahre an diesem Film. Das Werk hat eine ähnliche Wirkung, wie es ihrer Zeit einige Werke von Godard gehabt haben dürften und erinnern zudem an die extremen Ausflüge eines Gaspar Noe. Dabei setzt Thorsten Fleisch auf eine Inszenierung in englischer Sprache in Berlin, einer pulsierenden Stadt.

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FC 2Es ist schwer, nahezu unmöglich Flesh City in Worte zu fassen. Im Zentrum steht die Erzählung über ein junges Paar, das auf einer Party mit übernatürlichen Schrecken konfrontiert wird. Die Geschehnisse werden wiederholt von Einspielungen unterbrochen, beispielsweise mit Musikvideos verschiedener Künstler – die alle für diesen Film geschrieben und konzipiert wurden, ebenfalls von Thorsten Fleisch – oder einem Online-Chanel von zwei Satanistinnen. Dieser Angriff auf die filmische Sehgewohnheit ist ein wunderbarer Spiegel medialen Nutzungsverhaltens in der Youtube- und Social-Media-Ära. Man konzentriert sich nicht mehr nur auf eine Sache, springt zwischen verschiedenen Inhalten hin und her und schafft es am Ende dennoch, einen Brückenschlag zwischen all diesen Impressionen zu bilden. Das allein ist narratives Geschick und inszenatorisch beeindruckend. Allerdings verlangt es einem viel ab, diesen Film bis zum Ende zu rezipieren. Kunst will nicht unterhalten, Kunst will etwas vermitteln und genau das tut Flesh City.

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FC 5Der nachfolgende Abschnitt enthält Spoiler. In diesem Werk scheinen die Menschen und die Medien zu verschmelzen. Das geht soweit, dass eine Figur mit allem Medialen gefüttert wird, während einem anderen Charakter Teile des Mediennetzes implantiert werden. Beide verschmelzen zunehmend mit den Medien, beziehungsweise werden von diesen genutzt. Die hybride Existenz einer zunehmend lebendig werdenden Stadt, die pulsiert und nach und nach die Menschen unterwirft und tötet zeichnet ein sehr düsteres Bild unserer Zeit. Dieser Film kann aus dieser Deutungsperspektive als dystopisches Werk verstanden werden. Die Schrecken sind dabei gelegentlich als offensive und explizite Kills inszeniert, doch den eigentlichen Horror generiert Flesh City aus der Essenz des Werkes, die einen heftigen Nachhall besitzt.

Flesh City ist ein sperriges, ungewöhnliches und sehr individuelles Werk. Kunst ist nicht immer einfach zu rezipieren, das gilt auch hier. Flesh City ist vielleicht der bedeutendste Medienhorrorfilm, der bisher gemacht wurde. Das liegt daran, dass Flesh City die aktuelle Mediennutzung spiegelt, diese in der Inszenierung rückkoppelt und dabei ein dystopisches Gesamtbild zeichnet. Thorsten Fleisch ist ein Filmemacher, von dem man sicher noch einiges hören wird. Vielleicht als einer der Wegbereiter einer neuen Horrorästhetik.

Trailer zu Flesh City

Infokasten

Regie: Thorsten Fleisch

Drehbuch: Thorsten Fleisch

Produktion: Fleischfilm, Tropical Grey Pictures

Verleih: Derzeit gibt es keinen Verleih für den Film

Laufzeit: 84 Minuten (uncut)

Deutschland | 2019

Veröffentlichung: Der Film ist bisher nur auf Festivals zu sehen.

Letzte Änderung amMittwoch, 08 Mai 2019 17:55
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Video games are bad for you? That's what they said about rock and roll.“

– Shigeru Miyamoto, Videospiele-Entwickler

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