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Die Phantastische Wirkung inszenierter Leere. Eine Ãœberlegung

Filmszene (Ausschnitt) Universal Pictures International Filmszene (Ausschnitt)

In diesem Logbucheintrag spüre ich einem Eindruck nach, der mich während der Sichtung von Leigh Whannells Horror-Thriller Der Unsichtbare ereilte.

Medienlogbuch

Obwohl in dem Horrorfilm Der Unsichtbare von Anfang an klar ist, dass es den Unsichtbaren gibt – schon allein wegen des Marketings, das die Referenz zur gleichnamigen Verfilmung von 1933 betont, die ebenfalls von Universal Pictures produziert wurde – lässt sich die Filmhandlung viel Zeit, bis der Unsichtbare als Figur wirklich greifbar wird (siehe meine Rezension). Die Inszenierung setzt sehr lange auf Suggestion und wählt Bildausschnitte beispielsweise so, als stünde noch jemand im Raum, der nicht zu sehen ist, wodurch auf den ersten Blick überschüssiger Raum in der Bildgestaltung entsteht, der natürlich nicht überschüssig ist, weil er als Leerstelle für die Fantasie des Publikums dient. Unwillkürlich ertappte ich mich dabei, wie ich die inszenierte Leere nach Anzeichen auf den Unsichtbaren absuchte, nach kleinsten Bewegungen der Luft oder von Gegenständen. In dieser Weise hatte der Film so etwas wie eine Phantastische Wirkung auf mich, und zwar indem die Suggestion der Bilder mich dazu anregte, ebendiese Bilder nicht für das zu nehmen, was ich in ihnen sehen konnte, sondern vielmehr etwas Anderes und Zusätzliches in ihnen zu vermuten, das gar nicht da war oder nicht gezeigt wurde, zumindest nicht direkt. Ohne die zuvor geschaffene erzählerische Rahmung hätte diese Suggestion nicht funktioniert. Dann hätte die Bildgestaltung tatsächlich überschüssigen Raum gezeigt. Es musste erst die Hypothese vorausgeschickt werden, dass da noch jemand Drittes im Raum stehen könnte.

Was ich Suggestion nenne, veranstaltet durch die Mittel der Inszenierung im Grunde jeder Film, da jede Filmhandlung von ihren Zuschauer*innen verlangt, die Abfolge der Bilder für eine zusammenhängende Geschichte zu nehmen. Wir haben dies früh gelernt und akzeptiert, daher fällt uns diese Illusion selten noch auf. In Der Unsichtbare tritt das Verfahren der Illusionsbildung aber unmittelbar an die Oberfläche der Wahrnehmung und wird zudem erzählerisch eingesetzt, sodass gewissermaßen eine Illusion innerhalb der Illusion provoziert wird.

Aber warum nenne ich diese Wirkung eine Phantastische? Das hängt mit dem Begriff des Phantastischen zusammen, den ich mir gebildet habe – freilich eine Definition, die nicht auf alles zutrifft und auch nicht auf alles zutreffen will, was phantastisch (oder fantastisch) genannt wird. Im Zentrum des Phantastischen steht demnach eine Suggestion oder Verlockung, die durch die Verfahren des künstlerischen Mediums erzeugt wird und welche die Rezipient*innen des Mediums verführt oder verlockt, etwas darin zu erkennen, das allerdings niemals explizit gezeigt werden darf, weil es dann nicht mehr durch die Subjektivität der Rezipient*innen auf das betrachtete Medium projiziert würde, sondern von dem Medium selbst hervorgebracht würde.

Deshalb bin ich zudem der Meinung, dass die inszenierte Leere in Der Unsichtbare unheimlich wirkt. Denn den Unsichtbaren projizieren wir mittels unserer Fantasie selbst hinein. Trickeffekte braucht es dafür keine. Ähnliches gilt meiner Auffassung nach für die Inszenierung der andersweltlichen und womöglich gefährlichen Schönheit der titelgebenden Blume in dem Film Little Joe – Glück ist ein Geschäft (siehe meine Rezension). Die Andersweltlichkeit und auch Bedrohlichkeit der Blume, die ich in der Rezension anspreche, sind nicht zwingend Eigenschaften der beschriebenen Pflanze, sondern bereits eine Wahrnehmung meinerseits, aber eine, die durch die Ästhetik des besagten Films bedingt ist. Quasi verlockt mich die Inszenierung dazu, die Blume namens Little Joe in dieser Weise wahrzunehmen. Denn eigentlich ist jene Blume eben nur eine Blume und – nehmen wir es ganz genau – nichts weiter als ein Filmrequisit.

Infokasten

„Der Unsichtbare“ (OT: The Invisible Man)

Regie:   Leigh Whannell

Drehbuch: Leigh Whannell

Laufzeit: 124 Minuten

Produzent: Universal Pictures, Blumhouse Productions, Goalpost Pictures, Nervous Tick Productions

Verleih: Universal Pictures International

Australien, USA, Kanada, Großbritannien | 2020

Veröffentlichung: Kinostart am 27. Februar 2020. Im Handel erhältlich ab dem 30. Dezember 2020.

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amMontag, 31 Januar 2022 19:37
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Ein Rezensent, siehst du, das ist der Mann, / Der alles weiß, siehst du, und gar nichts kann!“

– Ernst von Wildenbruch in seinem Trauerspiel Christoph Marlow (1884)

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