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Kosmischer Horror im Gaslaternenflair: „Providence“-Gesamtausgabe #1

Ausschnitt "Providence"-Gesamtausgabe #1 Avatar Press Ausschnitt "Providence"-Gesamtausgabe #1

Der erste Band der Gesamtausgabe zu Alan Moores Providence erzählt eine investigative Horrorgeschichte, die für Liebhaber von lovecraft‘schem Schrecken bestens geeignet ist.

Dass Horror etwas Subtiles sein kann, das sich langsam in das eigene Bewusstsein drängt, sich dort festsetzt und zunehmend manifestiert, war bereits Edgar Allen Poe und seinem Bewunderer H. P. Lovecraft bekannt. Besonders Lovecraft nutzt diese Form von Schreckensmanifestation in seinen Geschichten und Erzählungen, indem er den Lesern entweder einen Einblick in einen Protagonisten gibt, der zunehmend wahnsinnig wird, im Angesicht der Schrecken, die es hinter der Fassade der Welt gibt, oder indem Lovecraft eine Inszenierung mit einem Blick auf eben diese Personen wählte, die – aus einer normalen menschlichen Perspektive – bereits etwas Wahnsinniges und in der Folge, Bedrohliches sind. Alan Moore ist besonders bekannt für Watchmen, V wie Vendetta und vielleicht From Hell.

Der umtriebige Künstler hat sich jedoch bereits mehrfach mit dem kosmischen Horror in H. P. Lovecrafts Werken beschäftigt und diesen neu interpretiert und inszeniert. Während bei Lovecraft keinerlei explizite Darstellungen von Sex und genetischen Verschmelzungen erwähnt werden, ist dies das zentrale Thema von Moores Neonomicon. Auch der Protagonist in Providence wird über sexuelle Ausrichtungen definiert, seine Vorlieben dürften in den USA von 1919 noch als verwerflich und illegal eingestuft werden. Mit Providence ist Moore eine Umrahmung der Erzählungen aus Neonomicon gelungen, denn die Erzählung um den Journalisten Robert Black, befasst sich im ersten Band mit den verborgenen Mysterien und Geheimgesellschaften in den USA, im Jahr 1919.

Robert Black steckt in seinem Leben fest. Er ist ein sehr gebildeter Mann, ist in einer festen Beziehung und verdient sich als Journalist beim New York Herald seinen Lebensunterhalt. Eigentlich sehnt er sich nach Freiheit, will einen Roman schreiben, glaubt der Welt mehr mitteilen zu können, als es eine Zeitung kann; er will etwas hinterlassen, dass einen Wert besitzt. Durch einen Zufall wird eine alte Geschichte wieder aufgemacht, die Robert zu Dr. Alvarez führt, einem Wissenschaftler, der in seiner Wohnung festsitzt, da er an einer sehr seltenen Krankheit leidet. Er muss sich in einem niedrigen Temperaturumfeld aufhalten, sonst wiederfährt dem Mann offenbar etwas Schreckliches.

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Dr. Alvarez empfängt Robert und gibt ihm die gewünschte Auskunft über „Sous Le Monde“. Dies ist ein Roman, der mehrere Menschen in den Selbstmord getrieben haben soll. Robert erfährt, dass dieses Werk bezugnimmt auf einen alten arabischen Text, der den Titel „Book of the Wisdom of Stars“ trägt. Dieser enthält angeblich Informationen über die Unsterblichkeit und das ewige Leben. Nach dem Gespräch reflektiert Robert lange über die Geschehnisse und beschließt diesen auf den Grund zu gehen. Dies führt den jungen Mann durch ganz Providence und konfrontiert ihn mit immer schrecklicheren Geschehnissen, die das, was man unter Gesetzen der Wirklichkeit versteht, hinterfragen lassen.

Was an dem Comic verwundert, ist die transmediale Narration innerhalb eines Buches. Zu Recht wundert man sich darüber, wie diese in nur einem einzigen Werk funktionieren kann. Es geschieht durch eine Kombination verschiedener Formen von Medieninhalten, die auf Papier oder in Buchform veröffentlicht werden können. Darin liegt eine große Stärke des Werkes, denn auf diese Weise lässt uns Moore in den gezeichneten Comic-Abschnitten eine Außenperspektive einnehmen, während zwischen den Kapiteln in Form von Tagebucheinträgen eine Innenperspektive auf Robert Blacks Wahrnehmung und Persönlichkeit geliefert wird. Zudem nutzt Moore den Kniff, Texte, Bilder, Flyer und Ähnliches durch den Protagonisten ins Tagebuch einzubinden. Diese Form von anderen Inhalten wird dadurch direkt lesbar. In der Folge sind die Dokumente auch für den Leser im Detail erfahrbar. Allein dieser Ansatz macht das Werk lesenswert, wenn auch einige der handschriftlichen Abschnitte von Robert Black nicht ganz einfach zu entziffern sind.

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Providence ist komplex, verschachtelt und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Auf dieses Werk muss man sich einlassen, ansonsten ist es leicht – durch die Vielzahl von Schauplätzen und Figuren – den Überblick zu verlieren. Werke von Lovecraft werden direkt oder indirekt zitiert (Cool Air). Ebenso das oftmals mit dem Lovecraft-Mythos und dem Götterwesen „Hastur“ in Verbindung gebrachte King in Yellow von Robert William Chambers (1895). Für Fans des Stoffes ist dieses Werk eine Bereicherung und für alle, die sich mit den Vorlagen nicht beschäftigt haben, ebenfalls eine spannende Geschichte, die zunehmend mystischer wird.

Providence Gesamtausgabe Band 1

Infokasten

„Providence“

Gesamtausgabe Band 1 (Episode 1 bis 4)

Geschichte: Alan Moore

Zeichnungen: Jacen Burrows

Kolorierung: Juan Rodrigez

Schriftsatz: Kurt Hathaway

Sprache: Englisch

Verlag: Avatar Press

Nachdruck als Gesamtausgabe im März 2017 in den USA, auch im deutschen Handel erhältlich.

Letzte Änderung amFreitag, 18 August 2017 22:40
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„But it is the book that's the original, this book is the result of the author‘s unique, inimitable talent. Transfer a book into a virtual world? Funny. It‘s impossible.“ Andrzej Sapkowski über das Verhältnis seiner Fantasyromane zu ihrer Versoftung The Witcher (eurogamer.net).

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