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Gaming

„Twelve Minutes“ – Täglich grüßt der Killer

Spielszene (Ausschnitt) Nomada Studio, 24 Bit Games, Annapurna Interactive Spielszene (Ausschnitt)

In diesem kurzweiligen Adventure geraten die Spieler*innen in eine Zeitschleife, decken ein dunkles Geheimnis auf und müssen entkommen, bevor der Killer zuschlägt.

Rezension

Nicht ahnend, dass die kommenden zwölf Minuten die längsten in seinem Leben werden, schließt ein Mann die Tür zu seinem Apartment auf und betritt es. Das Licht ist gedimmt. Seine Ehefrau erwartet ihn. Sie ist gutgelaunt, hat Dessert gemacht. Will sie ihn überraschen? Wie auch immer der Abend von hier an weitergeht, sehr bald wird es an der Wohnungstür klopfen. Ein Polizist wird Einlass verlangen. Oder ein Mann, der sich als Polizist ausgibt. Erst wird der Fremde die Frau auf den Boden zwingen und mit Kabelbindern fesseln, dann den Mann. Was will der Kerl? Sicher ist, dass er eine böse Überraschung im Gepäck hat: Er beschuldigt die Frau des Mordes an ihrem Vater.

12min 1Was wie der Auftakt eines Home-Invasion-Filmes klingt, ist eigentlich das enge Spielszenario des Point-and-Klick-Adventures Twelve Minutes, in dem bereits erste Spielentscheidungen getroffen wurden. Die Spieler*innen schlüpfen hierbei in die Rolle des Mannes (gesprochen von James McAvoy), der gerade nach Hause kommt. Sie können nach einem kurzen Tutorial im Flur vor der Wohnung mitbeeinflussen, wie der Abend verlaufen soll. Feststeht: Der Fremde (Willem Defoe) wird auftauchen. Feststeht außerdem, dass der heimkehrende Mann in einer Zeitschleife gefangen ist. Nach zwölf Minuten beginnt der Abend daher von neuem. Oder wenn der Tod eintritt, was wahrscheinlicher ist. Der Fremde ist nämlich nicht zimperlich. So beginnt ein Spiel aus Versuch und Irrtum, bei dem zunächst die Überwindung des Eindringlings im Vordergrund steht, sowie die Frage, ob die Frau (Daisy Ridley) wirklich ihren Vater ermordet hat. Da die Spielfigur sich trotz Zeitparadox an alles erinnern kann, erfährt man mit jedem Durchlauf mehr darüber, was eigentlich vor sich geht, und kann sich dementsprechend verhalten. Wer Freund und Feind ist, bleibt für lange Zeit unklar und verändert sich mehrfach, abhängig davon, was man schon weiß.

12min 2

In der überschaubaren Spielumgebung aus Wohnküche, Bad, Schlafzimmer und Abstellkammer gibt es zwei grundlegende Handlungsmöglichkeiten, um den Gang der Dinge zu beeinflussen. Erstens: Gegenstände können gefunden, eingesammelt und teils miteinander oder mit der Umgebung kombiniert werden, um Effekte zu erzeugen. Zweitens: Man kann mit der Frau sprechen. Gelingt es, dass der Fremde einem zuhört, kann man auch mit ihm reden. Durch diese Optionen sind viele verschiedene Durchläufe möglich – und auch nötig, da man nur wenig Zeit hat, bis alles wieder von vorn beginnt. Bis dahin kann man beispielsweise die Frau auf den angeblichen Mord ansprechen oder versuchen sie davon zu überzeugen, dass man in einer Zeitschleife feststeckt. Man kann auch einfach mit ihr die angekündigten Desserts essen und plaudern. Oder man versteckt sich im Wandschrank, noch bevor sie bemerkt hat, dass man heimgekommen ist. Und dann wartet man ab. Oder man wird offensiv und überlegt, wie man die Schlafpillen im Badezimmerschrank oder das Messer auf der Küchenanrichte einsetzen könnte. Unternimmt man nichts, nehmen die Dinge in einer bestimmten Abfolge ihren Lauf.

12min 3Spielprinzip und Setting von Twelve Minutes sind gut aufeinander abstimmt und funktionieren. Auch einige drastische Möglichkeiten, die Spieler*innen einschlagen könnten, hat das Spiel berücksichtigt. Die Enge des Szenarios und die konkrete Bedrohung fordern direkt zum Handeln auf. Die Geschichte, die sich nach und nach entfaltet, ist wendungsreich und spannend, das schmale Figurenensemble dank gut gesprochener Dialoge glaubhaft und die musikalische Untermalung durch Neil Bones filmreif. Zuerst mögen die schlichte Grafik und die Draufsicht, in der das Spiel präsentiert wird, als störend empfunden werden, doch eigentlich reichen sie völlig aus. Immer wenn sich die Spannung der Handlung etwas abschwächt, um der Lösung eines Rätsels Raum zu geben, ist die Draufsicht wegen ihrer Übersichtlichkeit sogar sehr angenehm. Bisweilen kann das Spiel leider etwas repetitiv werden, insbesondere, wenn man keine Idee hat, was zu tun ist, oder wenn man den vorgesehenen Lösungsansatz gefunden hat und diesen immer wieder bis zum letzten Punkt des Scheiterns durchexerzieren muss, um dann etwas Neues auszuprobieren. Im Gegenzug belohnt das Spiel mit interessanten narrativen Wendungen, die die Motivation aufrechterhalten. Schön wäre es allerdings, wenn es mehrere Lösungsansätze gäbe. Doch statt hier die Komplexität der Spielmechanik auszuweiten, fokussiert Twelve Minutes das immersive Erleben einer plötzlich bedrohlichen Lage, in der nicht klar ist, wer Freund und Feind ist, weil die Person, die einem am vertrautesten ist, offenbar ein dunkles Geheimnis hat. Und das gelingt ausgesprochen gut.

12min 4

Fazit: Außergewöhnlich, wenn auch ein wenig repetitiv

Das Spiel Twelve Minutes verknüpft die gute alte Spielmechanik des Point-and-Klick-Adventures raffiniert mit einem engen narrativen Szenario. Großartig ist die Idee, den Spieler*innen innerhalb einer Zeitschleife und vor dem Hintergrund einer akuten Bedrohung eine relative Handlungsfreiheit zu geben, die ihnen ermöglicht, sich auszuprobieren und Stück für Stück das zugrundliegende Geheimnis zu ergründen. Leider kann das auch etwas repetitiv werden.

 

Infokasten

„Twelve Minutes“

Spieldesign: Luís António

Entwickler: Nomada Studio, 24 Bit Games

Publisher: Annapurna Interactive

Plattformen: Xbox One, Xbox Serie X|S (Im Test), Windows PC

USA, Südafrika | 2021

Veröffentlichung: August 2021 als Download

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amSamstag, 25 September 2021 10:24
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Ich habe den ganzen Kosmos mit meinem Schädel zerkaut! Ich habe gedacht, bis mir der Speichel floß. Ich war logisch bis zum Koterbrechen. Und als sich der Nebel verzogen hatte, was war dann alles? Worte und das Gehirn.“

Gottfried Benn

 

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