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Gaming

Survival Horror alter Schule: „Tormented Souls”

Screenshot: Caroline tritt durch den Spiegel (Ausschnitt) Abstract Digital und Dual Effect, Mellowdramatix Screenshot: Caroline tritt durch den Spiegel (Ausschnitt)

Groteske Monster, Rätsel und Mysterien: Das Videospieldebüt von Gabriel und Germán Araneda Quijada bringt den Survival Horror zurück in die Blütezeit der 90er.

Angespielt: Rezension

TS FotoCaroline Walker bekommt eines Tages einen Brief mit einem Foto. Das Bild zeigt zwei junge Frauen, die sehr vertraut wirken. Absender des Briefes ist ein gewisser John Doe im Wildberger-Hospital in Winterlake auf Blackwood Island in Kanada. Man könnte auch sagen, jemand Unbekanntes, der mit dem Brief Caroline zu der Adresse locken möchte. Auf der Rückseite der Fotografie steht der Text: „Glaubst du wirklich, dass du uns einfach hier sitzen lassen kannst?“.

Ohne Umschweife macht Caroline sich auf den Weg ins Wildberger-Hospital, in der Hoffnung dort Antworten zu erhalten. Kurze Zeit später findet sich Caroline nackt in einer halbgefüllten Badewanne wieder, angeschlossen an eine Beatmungsmaschine und mit einem Verband am Kopf. Als sie erwacht, beginnt der Albtraum, aus dem es zu entkommen gilt.

Feste Kameraperspektive und Vorbilder

TS 1Tormented Souls arbeitet mit festen Kameraperspektiven. In der Folge können Spielende die Spielfigur (Caroline) nur in den gegebenen Bildbereichen bewegen. Wird ein Bereich oder eine Perspektive verlassen, springt die Kamera auf eine andere Perspektive. Auf diese Weise bleibt das, was man nicht sehen kann, im Ungewissen. Diese Art der Inszenierung ist keineswegs neu und findet sich in den klassischen Survival-Horror-Spielen wie Alone in the Dark, Resident Evil, Silent Hill oder auch Project Zero sowie diversen anderen Survival-Horror-Titeln aus der PlayStation- und frühen PlayStation-2-Ära. Tormented Souls schließt in seiner Inszenierung genau dort an, wo vor allem die großen Videospielentwickler wie Capcom und Konami sich entschieden haben, ihre Survival-Horror-Spiele zunehmend actionlastiger zu gestalten und statt auf eine dichte Atmosphäre und intensive Horrorsettings voller Rätsel auf Horden von Monstern und Geballer zu setzen. Tormented Souls schlägt in dieser Hinsicht den Pfad ein, der in den frühen 2000er Jahren in dem Genre verlassen wurde und bietet Survival Horror der alten, urtümlichen Schule.

TS 5Tormented Souls wurde offensichtlich von Fans des ersten Resident Evil und des ersten Silent Hill gemacht, denn das Szenario des verlassenen Krankenhauses wird hier mit einer andersweltlichen Ebene hinter dem Spiegel gekreuzt. So gibt es hinter der ohnehin schon wenig einladenden „hellen Seite“ des scheinbar verlassenen Krankenhauses Abschnitte, in denen Caroline durch den Spiegel schreitet und in eine noch düsterere Version der Spielwelt eintritt. Das abgelegene Krankenhaus erinnert an das scheinbar verlassene Herrenaus aus Resident Evil, während ein Wechsel zwischen zwei Versionen der Spielwelt stark an Silent Hill erinnert. Die Monster erinnern zudem an schreckliche Kreaturen, die direkt aus Silent Hill stammen könnten.

Die alte Schule: Rätseln, Kampf, Speichern

TS 4Den größten Anteil der Spielmechanik macht das Lösen von Rätseln aus, die zuweilen äußerst komplex ausgefallen sind. Es ist nichts dabei, was nicht lösbar ist, aber einiges verlangt ein sehr gründliches Absuchen der Spielumgebung und kombinieren der korrekten Gegenstände. Oftmals ist ein Vorankommen im Spiel an das Lösen von Rätseln gekoppelt. Kampf ist zwar eine Möglichkeit, allerdings ist Caroline keine Kämpferin. Ab einem gewissen Punkt, nach der ersten Begegnung mit einem Monster, steht Caroline eine Nagelpistole als Schusswaffe zur Verfügung. Fast zeitgleich kann ebenfalls die Nahkampfwaffe in Tormented Souls gefunden werden, ein Brecheisen. Im späteren Verlauf des Spiels ist es zudem möglich eine Schrotflinte zu bauen. Munition ist allerdings ein knappes Gut und die Gegner halten viel aus. Werden diese nicht vollständig getötet, stehen sie auch gerne mal wieder auf. Da Caroline nicht besonders viel Schaden aushält und das Spiel ausschließlich an Tonbandgeräten mit einem neuen Tonband gespeichert werden kann, ist jeder Kampf ein großes Risiko. Oftmals lauern die Gegner außerhalb der ersten Perspektive, wenn ein Raum betreten wird. Hier wird deutlich, dass Tormented Souls ebenfalls das Versuch-und-Irrtum-Prinzip der klassischen Survival-Horror-Spiele besitzt. Heilgegenstände sind selten und in ihrer grundlegenden Form wenig effektiv. Speicherbänder sind das vermutlich seltenste Objekt im Spiel und sollten mit viel Bedacht eingesetzt werden, allerdings sind auch die Punkte, an denen gespeichert werden kann, eher selten. Die Dunkelheit ist zudem tödlich für Caroline. Da sie immer nur entweder Lichtquelle oder Waffe in ihren Händen halten kann, entsteht eine zusätzliche Schwierigkeit. Alle diese Elemente tragen dazu bei, dass Tormented Souls eine wirklich fordernde Spielerfahrung ist.

TS 2

Technische Aspekte

Bei der Erstveröffentlichung litt das Spiel, neben einigen kleineren Fehlern, unter einem Grafikfehler, der zu starkem „Tearing“ in der Bildausgabe führte. Das bedeutet, dass die visuellen Informationen zwischen den einzelnen Bildern, aus denen eine flüssige Videodarstellung wird, die Farben und Lichter fehlerhaft berechnet werden und so wirken, als ob diese ineinander verlaufen. Das war partiell sehr störend, wurde aber mit einem Patch nach zwei Tagen behoben. Da Tormented Souls von einem sehr kleinen Studio stammt, ist eine so schnelle Behebung eines komplexen Spielfehlers etwas, dass man positiv herausstellen sollte. Die weiteren kleineren Fehler wurden ebenfalls mit diesem Patch korrigiert.

Die Grafik insgesamt ist nicht überragend. Die Spielumgebung ist auf einem guten Grafikniveau, die Monster ebenfalls, doch besonders bei der Protagonistin fällt auf, dass die Texturierung wenig detailreich ausgefallen ist. Zusätzlich beschränkt sich die Animation der Protagonistin auf das Nötigste. Gestik und Mimik sind hier im Grunde nicht vorhanden, etwas, das der Horrorwirkung entgegensteht. Der unauffällige, aber stimmungsvolle Soundtrack reißt im Punkto Horrorstimmung allerdings einiges wieder heraus. Dennoch, die technische Qualität ist nicht die eines Top-Titels. Das sollte man und darf man bei einem Einführungspreis von rund 20 Euro nicht erwarten.

Fazit

Tormented Souls macht vieles sehr gut, wenn man ursprüngliche Survival-Horror-Spiele wie aus den 90ern mag. Derartige Spiele werden heutzutage kaum mehr gemacht. In der Summe ist Tormented Souls ein exzellentes Videospiel, das den Geist und auch die Atmosphäre seiner Vorbilder gelungen einfängt und einer neuen Generation von Spieler*innen anbietet.

TS Tonbandgeraet

Infokasten

„Tormented Souls“

Spieldesign: Gabriel Aranda Quijada, Germán Aranda Quijada

Entwickler: Abstract Digital, Dual Effect

Publisher: PQube

Plattformen: PC, Xbox Series X|S (im Test), Xbox One, PlayStation 5, PlayStation 4, Nintendo Switch.

Chile | 2021

Veröffentlichung: Ab dem 27. August auf dem PC erhältlich und später für weitere Plattformen. Derzeit erhältlich für PC, Xbox Series X|S, PlayStation 5. Weitere Portierungen für andere Plattformen sind angekündigt für Februar 2022 (siehe Plattformen).

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amDonnerstag, 23 September 2021 16:25
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Unbestreitbar führt das Internet auch zu positiven Veränderungen. Das Negative besteht meiner Meinung nach darin, dass das Internet zu Oberflächlichkeit verleitet, zu spontanen Reaktionen, hinter denen kein langes Nachdenken steckt: Ich habe etwas gelesen, und sofort twittere ich dagegen oder darüber, und dann womöglich auch noch in falscher Grammatik.“

 

Helmut Schmidt im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo (2012) im Zeit Magazin Nr. 17 vom 19.04.2012, S. 57

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