„Grindelwalds Verbrechen“ – Der faschistoide Manipulator
- geschrieben von André Vollmer
- Publiziert in Film
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Fulminante Effekte, schrullige Figuren und ein düsterer Antagonist. Der zweite Teil der Phantastischen Tierwesen macht staunend, allerdings mit düsterer Note.
Rezension
Während Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind bisweilen wie eine wilde Pokémon-Jagd in der Erzählwelt von Harry Potter wirkt, also durchaus amüsant daherkommt, widmet sich die Fortsetzung den titelgebenden Verbrechen Grindelwalds und gerät damit um einiges düsterer. Es ist das Jahr 1919. Der skrupellose Zauberer Grindelwald (Johnny Depp) ist aus der magischen Hochsicherheitshaft entwischt und will nun, zusammen mit den Reinblütigen unter den Zauberern, über all jene herrschen, die nicht zaubern können: über die Muggel oder No-Maj, wie sie in den USA genannt werden. Als kaltberechnender Verführer weiß Grindelwald die Unschlüssigen auf seine Seite zu locken und sie – Achtung, Spoiler – auf dem Gipfel des Geschehens in eine medial inszenierte Falle zu locken, die an der Glaubwürdigkeit des US-amerikanischen Zaubereiministeriums sägt. Ihn dagegen lässt seine Inszenierung im Licht eines Befreiers erstrahlen.
Anleihen an die bittere Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts werden deutlich, wenn Grindelwald als faschistoider Manipulator auftritt und die Leichtgläubigen in die Irre führt, indem er sie mit scheinheiligen Versprechungen auf seine Seite zieht und sie von der vorgeblichen Notwendigkeit überzeugt, die No-Maj zu unterwerfen. Andernfalls würden die unbedarften Nicht-Magier Tod und Zerstörung heraufbeschwören. Gemeint ist der zweite Weltkrieg, der dem Publikum in prophetischen Bildern gezeigt wird. Die Einbindung dieser realen Geschichtspartikel gibt Grindelwalds Argumentation gegen die No-Maj, wenn auch ethisch unhaltbar, eine gewisse Sprengkraft. Nicht nur wissen die heutigen Zuschauer:innen um die menschlichen und gesellschaftlichen Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts. Auch spielt Grindelwalds Rhetorik auf die fundamentale Fehlbarkeit des Menschen an, die ins Chaos führen kann und der daher, so die Suggestion, nur mit Kontrolle und Unterwerfung begegnet werden kann. Freiheit und Chaos versus Unterwerfung und Ordnung – das sind zwei Positionen, die etwa auch in Assassin’s Creed gegeneinanderstehen und dort zwei Geheimorganisationen über Jahrhunderte gegeneinander kämpfen lassen. In einer Zeit der Verunsicherung sind Freiheit und Ordnung zwei Qualitäten, die leicht gegeneinander ausgespielt werden können. Vielleicht sehe ich in Grindelwald deshalb einen Antagonisten, der vorzüglich zu unserer Zeit der Meinungsmache durch Fake-News passt, einer Zeit, in der viele Menschen auf eine Ordnung durch tradierte, aber teils überkommene Werte beharren und dabei die Errungenschaften der jüngsten demokratischen Moderne untergraben: die Freiheit und damit Selbstbestimmung des Individuums.
Die besondere Stärke der „Harry Potter“-Geschichten waren schon immer deren Antagonisten, darunter Mitläufer wie Draco Malfoy (Tom Felton) und seine Familie, die zuletzt erzittern, als ihr ersehnter Erlöser Voldemort (Ralph Fiennes) zur Alleinherrschaft anhebt. Auch in Grindelwalds Verbrechen geht ein Riss durch die Gesellschaft der Zauberer. Liebende und Freunde werden in die feindlichen Lager aufgetrennt, Paranoia beherrscht die Gemüter, Geheimagenten und Killer werden ausgesandt, Unschuldige manipuliert. Und so muss auch der verschrobene Tierfreund Newt Scamander (Eddie Redmayne) eine Seite wählen, obwohl er dies als Pazifist nicht will – anders als sein Bruder Theseus Scamander (Callum Turner), der gegensätzlicher kaum sein könnte und Karriere im britischen Zaubereiministerium gemacht hat. Trotz der drastischen politischen Lage kommen die phantastischen Tierwesen nicht zu kurz. Als Newts Begleiter und Helfer treten sie auf oder toben als wildgewordene Unruhestifter durch Paris, wohin es den arkanen Zoologen aus Großbritannien in einem Geheimauftrag für den charismatischen, noch jungen Albus Dumbledore (Jude Law) verschlägt.
Wie erwartet trumpft auch Grindewalds Verbrechen mit fulminanten Computereffekten auf, die auch als Stereo-3D-Projektion bestaunt werden können. Kamerafahrten zeigen die wundersame Architektur der Zaubereiministerien, pompöse Zaubersprüche illustrieren die magischen Gefechte und ehrfurchtgebietende oder vertrottelt-niedliche Fabelwesen müssen besänftigt oder bei Laune gehalten werden. Was Film und Videospiel gut können, zeigt sich hier, nämlich die Attraktionen, die das Phantastische ermöglicht, bildgewaltig visualisieren. Das sind natürlich Schauwerte, die in den Kinos die Kassen klingeln lassen sollen. Letztlich haben sie aber ihre Berechtigung im breitgefächerten Spektrum der Phantastik, die oftmals auf das Staunen abzielt. Und staunend macht in Grindelwalds Verbrechen vieles.
Trotz Düsterkeit und Anleihen bei realen Schrecken der Weltgeschichte ist Grindelwalds Verbrechen eine All-Age-Konzeption, die sich an Zuschauer:innen von jung bis alt richtet, und bleibt ein Unterhaltungsfilm mit sehenswerten Effekten, Spannung und auch einer Prise Liebesgeschichte. Er erfüllt also ganz die Hollywood-Formel.
Trailer zu Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen
Infokasten
„Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“ (OT: Fantastic Beasts: The Crimes of Grindelwald)
Regie: David Yates
Drehbuch: J.K. Rowling
Laufzeit: 134 Minuten
Produzent: Heyday Films, Warner Bros.
Verleih: Warner Bros.
UK, USA | 2018
Veröffentlichung: Deutscher Kinostart am 15. 11.2018; Erscheinungstermin auf DVD-/Blu-Ray: 04.04.2019.
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André Vollmer
Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.