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Gaming

„Ghost of a Tale“ – Ein Märchen über einen Mäuserich und Minnesänger

Spielszene (Werbematerial, In-Game-Grafik) SethCG Spielszene (Werbematerial, In-Game-Grafik)

In diesem Adventure stibitzen sich die Spieler als Mäuserich durch eine märchenhafte Spielwelt, die durch Stimmigkeit, liebevolle Details und Humor überzeugt.

Rezension

Ghost of a Tale ist ein Indiegame sondergleichen. Entwickelt wurde das Spiel über den Mäuserich und Minnesänger Tilo von einem vierköpfigen Team auf Basis der Spiele-Engine Unity. Etwa 90 Prozent von Artwork, Design und Coding wurden von einer Person allein bewältigt, von Lionel  „Seith“ Gallat. Die Story stammt aus der Feder von Paul Gardner. Beides zusammen, Story und Gameplay, geben Ghost of a Tale einen einzigartigen Flair. Nach einer fünfjährigen Entwicklungszeit erscheint es nun am 13. März als Digitaldownload zunächst für den PC, später im Verlauf des Jahres dann auch für die Xbox One und die Playstation 4. Als bezahlpflichtige Alpha-Version, die für eine Stunde gratis gespielt werden kann, ist Ghost of a Tale schon länger verfügbar. Diese bereits überzeugende Spielversion habe ich mir auf der Xbox One angeschaut.

An Ghost of Tale fällt als erstes auf, dass es, abgesehen von wenigen Worten zur Spielwelt und ihrer Vorgeschichte, ohne erzählerische Einbettung direkt in dem Verlies der Rattenburg „Dwindling Heights Keep“ startet. Über den Mäusebarden Tilo, in dessen Rolle der Spieler schlüpft, erfährt dieser zu Beginn nichts, was er nicht direkt an der Spielfigur beobachten kann. Schon dieser Einstieg kündigt die rudimentäre Erzählweise des Spiels an, die weniger eine geführte Narration, etwa durch Cutscenes, anstrebt. Stattdessen setzt Ghost of a Tale auf Exploration, also auf das entdeckende Erleben des Spielers. Denn die Spielwelt birgt durchaus Figuren mit interessanten, eigenwilligen Persönlichkeiten, die zunehmend an Tiefe gewinnen und zueinander in Beziehung stehen. Die Spielwelt mit ihrer Geschichte entfaltet sich derart im Spielen selbst, ohne dass dieses durch narrative Passagen unterbrochen wird. Selbst die kompakten Dialoge entheben den Spieler nicht der Steuerungsgewalt. Schnell kann man daher in die Stimmung des Entdeckens geraten, zumal es in Ghost of a Tale hauptsächlich darum geht, nützliche Dinge zu sammeln und von den mit Hellebarden bewehrten Rattenwächtern unentdeckt durch verschiedene Spielareale zu huschen. So wie Mäuse dies eben tun.

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ghost of a tale 4Was wiederum nur sprechende (und singende) Mäuse wie Tilo so treiben, ist das Lösen von Rätseln, die sich unmittelbar aus der Spielwelt ergeben. Meist geht es darum, die grimmigen Ratten zu beobachten und sie geschickt zu umlaufen, von einem Versteck zum nächsten, von Strohbottich zu Truhe zu Fass zu Schränkchen und wieder zurück in einen Bottich. Wer mag, kann unterwegs alles einsammeln, was nicht niet- und nagelfest ist. Es wird sicher weiterhelfen. Die Sammelei ist auch motivierend, da es mehrere Kostüme zu vervollständigen gilt, darunter eine Piratentracht und eine Diebesmontur. Jedes Kleidungsstück verändert Tilos Charakterwerte, etwa ob er mehr Schaden durch Angriffe aushält oder für die Wachen weniger gut sichtbar ist. Die Wachen im Übrigen sind nicht sehr schlau. Verfolgen sie Tilo, genügt es, wenn er sich außerhalb ihres Sichtfeldes versteckt. Da aber nicht wenige Ratten in den Gängen der Burg patrouillieren, ist es ohnehin herausfordernd genug, die Wächter ungesehen zu passieren. Ein Tag-Nacht-Rhythmus und verschiedene Hilfsmittel gestalten das Schleichen komplexer, etwa Holzstöcker oder Flaschen, die zur Ablenkung geworfen werden können. Hin und wieder muss Tilo sogar einen Schlüssel von dem Gürtel einer Rattenwache stehlen, die so viel größer ist als der putzige kleine Kerl. Ein Kampfsystem gibt es daher auch nicht. Ist Tilo entdeckt worden, hilft nur weit genug davonsausen und irgendwo verstecken.

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ghost of a tale 2Neben einer Hauptquest eröffnet Ghost of a Tale bald viele kleinere Quests, die optional sind. Die Nicht-Spieler-Figuren fungieren hierbei als Auftraggeber: Finde dies! Bring mir jenes! Das fühlt sich nicht nur stimmig an, weil Tilo eine Maus ist, die gern stibitzt, sondern auch weil sich hinter jeder Quest eine Figurenmotivation verbirgt, die wiederum im Zusammenhang mit der Spielwelt steht. Tilos Wunsch ist es, seine Frau Merra wiederzufinden, die von ihm getrennt wurde, als die Zwei von den Ratten eingefangen und in das Verlies gesperrt wurden. Also erhofft sich Tilo als Gegenleistung Antworten von unter anderem einem eingekerkerten Froschpiraten und zwei Mäusedieben, die einen Ausweg aus der Burg kennen. Aber auch der Burgschmied verrät Tilo das eine oder andere. Er ist dem Mäuserich nicht feindlich gesonnen, obwohl er eine Ratte ist. Informationen gibt es allerdings nur gegen Bares – gegen Florins, die Tilo überall in der Spielwelt finden kann. Schon an dem Schmied und später auch an anderen Figuren zeigt sich, dass Ghost of a Tale trotz seiner märchenhaften Fantasy-Welt durchaus Ambivalenz kennt. Nicht jede Ratte ist böse, nicht jede Maus eine von den Guten. Bald ergeben sich zudem Konflikte zwischen den Figuren, nicht nur weil sie dem Mäusebarden Aufgaben antragen, die einander widersprechen, sondern auch weil die Figuren einander misstrauen und dem Mäuserich gegensätzliche Meinungen voneinander mitteilen. Wem also trauen? Die Dialoge sind durchweg mit einer Prise Humor geschrieben und sehr kurzweilig. Eine Sprachausgabe gibt es nicht, braucht es aber auch der Kürze wegen nicht. Dafür werden weltrelevante Informationen gesondert im Dialogtext markiert. Bei Interesse kann der Spieler Zusatzinformationen aufrufen, die ein wenig über den Weltkontext des Gesagten verraten.

Ghost of a Tale lebt von einer mit liebevollen Details gestalteten Spielwelt, die sich organisch anfühlt, stimmig eben, und in der es viel zu entdecken gibt, nicht zuletzt Geheimwege, Abkürzungen, neue Regionen wie die Burgkanalisation oder der umliegende Wald, sowie Geheimnisse und Tricks, um Wachen loszuwerden oder andere Figuren für den eigenen Vorteil hereinzulegen. Stibitzen, erkunden und verstecken, fällt man auf, schnell davonhuschen und untertauchen, hier und da ein Rätsel lösen – darum geht es in diesem Indiegame, das zudem in dem Gewand eines humorvollen, aber nicht albernen Märchens daherkommt. Allein mit der Alpha-Version habe ich gute zehn Stunden Spielzeit zugebracht, ohne auf gravierende Fehler im Spiel zu stoßen, ein paar Grafikfehler einmal außen vor gelassen. Jetzt bleibt abzuwarten, was die Vollversion bringt und wie die Spieler dieses besondere Game annehmen werden.

Trailer zu Ghost of a Tale

Infokasten

„Ghost of a Tale“

Entwickler: SethCG

Publisher: bisher keiner

Plattformen: Xbox One, Playstation 4, Windows PC (Vollversion)

Erscheinungsjahr: 2018

Für die Rezension wurde die Alpha-Version auf der Xbox One gespielt.

Letzte Änderung amMontag, 11 Februar 2019 18:22
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Das Recht zur Kritik ist, sozusagen, ein ästhetisches Naturrecht.“

– Hugo Dinger: Dramaturgie als Wissenschaft. Bd. 1. Leipzig 1904, S. 318.

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