„Loving Vincent“, ein poetischer Krimi, aber keine Biografie
- geschrieben von André Vollmer
- Publiziert in Film
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Der Film Loving Vincent ist in seiner Machart einmalig – Bild für Bild in Ölfarben gemalt. Inhaltlich berückt der Film mit einer intensiven Kriminalgeschichte.
Rezension
Loving Vincent ist ein außergewöhnlicher Kunst- und Animationsfilm, allein schon wegen der verwendeten, bis dato einzigartigen Animationstechnik, die eine Huldigung an die Malerei des Künstlers Vincent van Gogh darstellt. Das mit Schauspielern gedrehte Filmmaterial hat ein 125-köpfiges Team Bild für Bild im Stile van Goghs in Ölfarben nachgemalt, teilweise die Farben direkt auf das Material aufgetragen. Am Computer zusammengefügt verhalfen die Einzelbilder den Gemälden van Goghs dergestalt zu einem bewegten, filmischen Leben. Sogar das Bildformat des Films orientiert sich an dem Format der Leinwände, die der Künstler für gewöhnlich verwendete. So ist eine ermalte Welt entstanden, die auf den Zuschauer eine phantastische Sogwirkung erzeugen kann und dem investigativen Reiseabenteuer vor dem Hintergrund eines tragischen Todes eine Gestalt verleiht, die unverwechselbar ist und für sich genommen bereits einen enormen Schauwert besitzt.
Was die Filmhandlung anbelangt, so wartet Loving Vincent mit einem langatmigen, dennoch spannenden Kriminalstück auf, das die Todesumstände van Goghs rekonstruieren will. Die Rolle des zunächst widerwilligen Ermittlers übernimmt Armand Roulin (Douglas Booth), der Sohn von Vincent van Goghs Postboten (Chris O'Dowd). Er soll einen letzten Brief des Künstlers ausstellen, an dessen Bruder Theo, der ebenfalls verstorben ist, wie sich herausstellt. Der Brief eines Toten adressiert an einen Toten? Da steht Roulin nun – angehalten von seinem pflichtbewussten Vater – vor der Aufgabe, einen neuen würdigen Empfänger ausfindig zu machen. Deshalb klappert der junge Mann verschiedene Lebensstationen van Goghs ab und konfrontiert die Personen, die der Maler in seinen Gemälden verewigte, mit neugierigen Fragen – bis er am Ende sogar ein persönliches Interesse daran entwickelt, ob der Künstler sich selbst angeschossen hat, wie alle behaupten, oder ob jemand Zweites für die Schusswunde verantwortlich ist, die schließlich zu van Goghs Tod geführt hat.
Man darf nicht erwarten, in Loving Vincent viel über das Leben des Malers oder über seine Malerei selbst zu erfahren, obwohl das Geschehen dem reichhaltigen Briefwechsel van Goghs entlehnt sein soll. Ob der Film eine wirklichkeitsgetreue Annäherung an die Biographie van Goghs darstellt, dies zu beurteilen überlasse ich Kennern. Was der Film aber zeigt, ist ein ergreifendes, zugleich beeindruckendes Schicksal, auch wenn es vielerorts nachzulesen und daher als solches nichts Neues ist. Loving Vincent zeichnet auf der einen Seite einen Künstler zwischen Wahnsinn und tiefem Unglück sowie auf der anderen dessen disziplinierte und fröhliche, auch eigenbrötlerische Strebsamkeit, deren Produktivität wir weit über 800 Gemälde verdanken. Gezeigt wird ein Mann, der zunächst im bürgerlichen Leben wie gefangen scheint und dort scheiterte, schließlich aber mit dem Zuspruch seines Bruders zur Malerei fand, sich in sie vernarrte und zeitlebens nichts Anderes mehr tun wollte – auf diese Weise allerdings eckte van Gogh in der Gesellschaft an, geriet ins Außenseitertum oder in Intrigen missgünstig gestimmter Zeitgenossen.
Dieser Animationsfilm ist keine informative Biografie, stattdessen eine spannende Kriminalgeschichte, die nicht nur für jene interessant ist, die sich mit van Gogh beschäftigen möchten. Der Film bietet auch für diejenigen viel, die einen eher unterhaltsamen Blick auf das Verhältnis von Kunst und Leben, Werk und Künstler im Allgemeinen werfen möchten, insbesondere auf Aspekte der Andersartigkeit und der psychischen Krankheit, wie sie häufig in Zusammenhang mit bestimmten Künstlertypen zu stehen scheinen und medial schon oft inszeniert wurden, zuletzt etwa in dem Computerspiel Layers of Fear.
Loving Vincent präsentiert die Suche eines Unentschlossenen, der – selbst noch jung – dem Tod Vincent van Goghs eine Bedeutung abzuringen versucht, dem Verlust eines Menschen, Bruders, Freundes im Privaten sowie im Rückblick der Kunstgeschichte eines großen Talents, das bis heute als einer der Begründer der modernen Malerei gilt, zu Lebzeiten aber kaum ein Bild verkauft hat.
Trailer zu Loving Vincent
Infokasten
„Loving Vincent“
Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman
Drehbuch: Dorota Kobiela, Hugh Welchman, Jacek Dehnel
Laufzeit: 94 Minuten
Produzent: BreakThru Productions, Trademark Films u.a.
Verleih: Weltkino Filmverleih
Polen, Großbritannien, USA | 2017
Veröffentlichung 28.12.2018 in Deutschland (Kinostart)
André Vollmer
Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.