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Film

Blutig und böse: „Lesson of the Evil“ geht bis zum Äußersten

Filmplakat (Ausschnitt) Rapid Eye Movies Filmplakat (Ausschnitt)

Takashi Miikes Literaturverfilmung folgt einem Psychopathen durch den Alltag einer japanischen Schule und zeigt die dunkle Seite der Gesellschaft. Bis zum blutigen Ende.

Rezension

Takashi Miike ist bekannt dafür, dass er skurrile Filme macht, die in der Explizitheit ihrer Gewaltdarstellungen außerordentlich hart sein können, so hart, dass die Gewalt fast nicht mehr ernst zu nehmen ist und die Filme an der Grenze zum Splatter-Trash entlangschrammen. Ein solcher Film von Miike ist Lesson of the Evil, der in einem ausführlich geschilderten Schulmassaker mündet, das den Bildschirm rot färbt.

LotE 2Die gezeigte Gewalt ist allerdings nicht unmotiviert, sondern narrativ eingebettet: sie wird zum Ausdruck des Bösen, das selbst allerdings, so die Ausdeutung des Films, nahezu unmotiviert handelt. Zumindest scheint keine innere Notwendigkeit für das Töten vorzuliegen, keine Rachegelüste oder Wahnvorstellungen, die den Killer zwingen, auch wenn er nicht ganz ohne wahnhafte Fantasien bleibt. Nicht einmal eine innere Zerrissenheit ist dem Lehrer Seiji Hasumi (Hideaki Itô) anzumerken, dem es sogar gelingt, unter Kollegen und Schülern äußerst beliebt zu werden, bevor er sie zur Zielscheibe macht. Stattdessen: blanke Unmenschlichkeit, die mangelnde Empathie eines Soziopathen, der die Maske des sozialen Miteinanders bloß trägt, um sich einerseits in der Gewöhnlichkeit der Menge zu tarnen und andererseits seine Mitmenschen aufs Hinterhältigste zu manipulieren, sei es, indem er sie erpresst oder sie in andere Abhängigkeiten zwingt.

Gefährden die Opfer das Spiel, das Hasumi mit ihnen treibt, und droht derart seine Tarnung aufzufliegen, werden sie gnadenlos aus dem Weg geräumt. Erschreckend anzusehen, wie blauäugig ihm die Menschen zulaufen. Es kann ihnen keiner einen Vorwurf machen. Gänzlich hinters Licht geführt, ahnen sie nicht, in welche Gesellschaft sie sich begeben haben. Derart wird Miikes Verfilmung des Romans Aku no Kyōten (dt. Heilige Schrift des Bösen) in der Tat zu einer Lehrstunde des Bösen, die den Zuschauer, sofern er sich nicht von vornherein zum Gezeigten distanziert, gewiss nicht unberührt zurücklässt. Besonders aussagekräftig in der psychologischen Zeichnung des Killers ist dessen Äußerung, dass es nicht seine Aufgabe sei, dem Massaker einen Sinn zu geben. Das mache die Polizei.

LotE 1Aber nicht allein Hasumi steht im Fokus der Erzählung. Auch die übrigen Figuren tragen das ihre zu dem alltäglichen Schrecken bei, der oft im Verborgenen liegt. Unter anderem sind hier Lehrer zu nennen, die ein Verhältnis mit Schülern haben, Schüler, die ihre Mitschüler drangsalieren, oder Eltern, die ihren Frust an den Lehrern auslassen und sie verbal ordentlich zusammenfalten. All dies wird in einer halb realistischen, halb grotesken Art und Weise thematisiert, mitunter bis ins Absurde oder Komische überzogen. Derart übt Lesson of the Evil Kritik an einer Gesellschaft, die unter dem Deckmantel alltäglicher Ordnung verkommen ist, und räumt knallhart mit ihr auf. Hier kommt die volle Ambivalenz dieses Szenarios zum Tragen. Denn auch wenn die Figuren ihre schlechten Seiten haben, werden sie immer noch als leidensfähige Charaktere dargestellt, die plötzlich in einer ausweglosen Situation um ihr Überleben kämpfen müssen.

Lesson of the Evil ist kein Film für zwischendurch. Die Romanverfilmung bleibt durch ihre einmalige Kombination aus der Zeichnung einer verkommenen Gesellschaft und der eines soziopathischen Charakters in Erinnerung, die in dem kathartischen Schrecken eines detailliert dargebrachten Gemetzels endet. Nach so einem Filmerlebnis, darin Filmen wie Kidnapped, Suicide Circle oder Battle Royale verwandt, ist man ein anderer.

Trailer zu Lesson of the Evil (deutsch)

Infokasten

„Lesson of the Evil“ (OT: Aku no kyôten, dt. Heilige Schrift des Bösen)

Regie: Takashi Miike

Drehbuch: Takashi Miike (Drehbuch), Yûsuke Kishi (Romanvorlage)

Laufzeit: 129 Minuten

Produzent: Toho Pictures u. a.

Verleih: Rapid Eye Movies

Japan | 2012

Letzte Änderung amDienstag, 05 September 2017 07:13
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Better to write for yourself and have no public, than to write for a public and have no self.“

Cyril Connolly

 

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