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Gaming

„Narita Boy“ – Back to the Eighties

In-game-Szene Team17 In-game-Szene

Dieses Action-Adventure schickt die Spielerschaft auf eine Zeitreise, aber in zwei Richtungen gleichzeitig: zurück in die 80er und in ein futuristisches Tech-Märchenland.

Rezension

Die einzige Lichtquelle in dem sonst nachtdunklen Kinderzimmer ist der Monitor, an den die berühmte Spielkonsole Narita One angeschlossen ist und auf der das ebenso berühmte Spiel Narita Boy flimmert. Eben noch schimpfte die Mutter, man solle nicht immer nur im Zimmer hocken und spielen, schon hat die Spielkonsole die jugendliche Person, von der im Dunklen bloß ein Schemen zu sehen ist, mit einem Lichtblitz in das digitale Königreich von Trichroma transferiert. Dort wartet schon das erste aller empfindungsfähigen Programme namens Motherboard auf den Digitalhelden, der das Techno-Schwert gegen eine dunkle Bedrohung führen soll — gegen die Hackernauten, die unter der Führung von HIM den Quellcode von Trichroma angreifen. Aber nicht nur das digitale Königreich selbst ist in Gefahr. Auch die Erinnerungen seines Schöpfers sind verloren gegangen und müssen von dem Digitalhelden wiedergefunden werden. So beginnt die Trichroma-Quest.

narita boy 1Narita Boy ist mehr als eine Hommage an die Pop- und Gaming-Kultur der 80er, als die es beworben wird und die es aufgrund seiner intermedialen Querverweise auch ist, zum Beispiel auf Tron (1982), das Western-Genre oder Star Wars (Originaltrilogie 1977, 1980, 1983). Dieses Action-Adventure greift nicht nur alte Motive und Fantasien auf, es erschafft daraus zudem eine faszinierende und eigenständige Welt, in die man aufgrund ihrer liebevollen Gestaltung tiefer eintauchen möchte. Ihre Faszination beruht auf der symbolträchtigen, zugleich ungemein coolen Vermischung von Spiritualität und Technik. Alles im digitalen Königreich ist ein Computerprogramm innerhalb der Spielkonsole Narita One und zugleich mystisch aufgeladen. Denn die Bewohner sind sich der Tatsache bewusst, dass sie ebenso wie ihre Welt programmiert wurden und gründen auf diesem Wissen ihre Kultur und Religion. Die spirituelle und tatsächliche Grundlage ihrer Welt ist dementsprechend der Quellcode ihrer Programmierung. Und da das so ist, werfen die Einwohner dieser virtuellen Welt unentwegt mit mystischem Techspeak um sich, dessen Bedeutung sich nie ganz erschließt, aber das die Fantasie enorm befeuert. In die Sprache ihrer Welt- und Selbstwahrnehmung sind also Begriffe aus der Informatik und Computertechnik gemischt. Diese Begriffe beschreiben in Verbindung mit mystischen Vorstellungen die Weltzusammenhänge in Trichroma oder verweisen auf ein aus Sicht dieser empfindungsfähigen Programme transzendentes Reich. Ein gutes Beispiel dafür sind die Orte, die Spieler*innen auf ihrer Reise durchqueren. Diese Orte haben nicht immer eine klare Funktion, tragen aber klangvolle Namen wie Die Binärweiden, Die Halle des Techno-Alghorythmus, Die Ufer des Achromatopsie-Stroms oder Die Galerie der Kosmovisionen.

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Aber auch die drei Farben der drei großen Häuser und den dazugehörigen Reichen, durch die man reist, sind ein Verweis auf das technologische Fundament dieser Welt. Sie entsprechen den drei Grundfarben des RGB-Videosignals. Diese drei Farben — Rot, Gelb (eigentlich Grün) und Blau — werden in der Welt von Trichroma zu Energiestrahlen, aus denen sich die Welt schöpft. Und aus ebendiesem Strahlen speist sich auch die Macht des Techno-Schwertes, das nur der Digitalheld führen kann. Der Monitor und seine technische Funktionsweise werden so zum metaphysischen Weltgefüge des digitalen Königreichs. Sogar seine Bewohner sind monitorköpfige Geschöpfe, auch die Spielfigur und selbst die wenigen Tiere, denen man begegnet.

narita boy 3Die Faszination vertieft sich noch weiter, da von Anfang klar ist: diese fremde Welt ist eine virtuelle, die ein genialer, zugleich vom Leben gebeutelter Künstler geschaffen hat und dessen Persönlichkeit sich fragmentarisch in ihr spiegelt. Wenn Technik und Psyche sich vermischen, erzeugt das nach wie vor einen besonderen Effekt — eine Art philosophischen Cyberpunk-Drive, dem die Frage zugrunde liegt, was der Mensch ist und wie er sich von der Technik unterscheidet, die er erschaffen hat. Die verlorenen Erinnerungen, denen man als Digitalheld nachjagt, reichern die Spielerfahrung mit emotional aufgeladenen Episoden aus der Biografie des Schöpfers an, der zugleich Erfinder der Narita One und Entwickler des fiktiven Spiels Narita Boy ist, eines Mannes, der aus der Ehe einer Japanerin mit einem US-Amerikaner hervorgegangen ist — deshalb auch der Name Narita, der ebenfalls der Name einer japanischen Stadt in der Nähe von Tokyo ist. Die Einflechtung der Erinnerungen ist ein gelungener Kontrapunkt, welcher der Phantastischen Welt der Trichroma eine wirklichkeitsnahe, in Teilen tragische Geschichte entgegenstellt.

narita boy 6Ein wesentlicher Aspekt der Spielerfahrung ist also das Entdecken und Erleben der Spielwelt von Narita Boy, für das die formularische Geschichte — die Heldenreise — der Aufhänger ist. Dieses Erleben wird gekoppelt an ein unterhaltsames, nur punktuell forderndes Gameplay, das Beat’em up mit Jump’n’Run und dem Lösen kleinerer Umgebungsrätsel kombiniert. Das Verhältnis zwischen Erkunden der Spielwelt, Kämpfen und das Erleben der Story, die vorwiegend in Textboxen präsentiert wird, ist ausgewogen, das heißt: Weder läuft man nur umher, ohne dass etwas passiert, noch wird pausenlos gekämpft noch muss andauernd gelesen werden. Das Kampfsystem bietet zudem verschiedene Kampftechniken, die kontinuierlich freigeschaltet und über Tastenkombination ausgeführt werden. Das sorgt für Abwechslung und einen steigenden Schwierigkeitsgrad. In diese Kerbe schlagen auch die Bosskämpfe, die einem typischerweise abverlangen, den Rhythmus des gegnerischen Verhaltens zu erkennen, zu meistern und so den Boss zu besiegen.

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Präsentiert wird Narita Boy als Side-Scroller mit einem modernisierten Pixel-Stil, der flüssige Bewegungen ermöglicht, und wird untermalt von einem vielseitigen Elektro-Soundtrack. Das Bild flimmert leicht an den Rändern und ist gewölbt, sodass es den Eindruck erweckt, man spiele auf einem Röhrenmonitor (dieser Effekt lässt sich deaktivieren). Auch andere Medien der 80er werden als Elemente des verwendeten Kunststils aufgegriffen — die Spielkonsole wurde schon erwähnt, aber auch VHS, Audiokassetten und Disketten kommen vor, so wie die längst vergessene Datasette als Speichersymbol.

Fazit: Mehr als eine Hommage an die 80er

Narita Boy ist eine Hommage an die Pop- und Gaming-Kultur der 80er, aber erschöpft sich nicht darin. Diese Action-Adventure ist ein in sich geschlossenes, absolut stimmiges Universum, in dem Story, Spielwelt, Gameplay und künstlerische Präsentation Hand in Hand gehen, um eine besondere, zugleich kurzweilige Spielerfahrung zu erzeugen — anspielungsreich, mit Liebe zum Detail und für diejenigen ein Muss, die Beat’em up, Pixelgrafik und Phantastische Reisen durch digitale Welten mögen.

 

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Trailer zu Narita Boy

 

Infokasten

„Narita Boy”

Entwickler: Studio Koba

Publisher: Team17

Plattformen: Xbox One (Im Test), PlayStation 4, Nintendo Switch, PC (Windows, macOS)

Spanien | 2021

Veröffentlichung: 30.03.2021 (als Download)

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Letzte Änderung amSonntag, 23 Mai 2021 20:57
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Ich habe den ganzen Kosmos mit meinem Schädel zerkaut! Ich habe gedacht, bis mir der Speichel floß. Ich war logisch bis zum Koterbrechen. Und als sich der Nebel verzogen hatte, was war dann alles? Worte und das Gehirn.“

Gottfried Benn

 

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