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„The Witcher Adventure Game“

Cover-Artwork der Spielebox CD Projekt Cover-Artwork der Spielebox

Ist das The Witcher Adventure Game nur ein Merchandising-Artikel mit hübscher Aufmachung und geschickter Zweitverwertung oder ein eigenständiges Brettspiel?

Im Test: Die englische Brettspiel-Version

Rezension

Als ich die News zum Erscheinen eines Brettspiels aus dem The-Witcher-Franchise schrieb, fragte ich mich, ob das sogenannte The Witcher Adventure Game bloß ein Merchandising-Artikel mit hübscher Aufmachung und geschickter Zweitverwertung von ohnehin vorhandenem Artwork oder doch ein gut durchdachtes Gesellschaftsspiel ist, das Spaß macht und sich öfters als nur einmal spielen lässt, ohne langweilig zu werden. Immerhin hat das polnische Entwicklerstudio CD Projekt Red drei gelungene Computerrollenspiele vorgelegt, ohne deren Popularität es dieses Brettspiel für zwei bis vier Spieler gar nicht gäbe. Auch das unten eingebundene 13-minütige Einführungs- und Werbevideo machte Lust auf mehr. Nach anderthalb Runden stellte sich allerdings heraus, dass viele Spielmechanismen arg gleichförmig sind, nicht zu Interaktionen am Spieltisch einladen und das Spiel sehr langatmig machen. Obwohl die Spielmechanik auf Trab hielt, war jeder Spieler sehr allein mit der Bewältigung der Aufgaben, die zum Sieg führen. Mit ein, zwei Hausregeln kann diesen und anderen Ärgernissen entgegengewirkt werden, denn Spaß machte es grundsätzlich schon.

Zudem ist das Artwork sowie das gesamte Design sehr schön geraten, die Figuren der vier spielbaren Helden detailliert gestaltet und außerdem ist sehr darauf geachtet worden, dass Storytexte, wie zum Beispiel auf Ereigniskarten, sowie Bildelemente und der Spielablauf in Gänze in die Welt von The Witcher passen. Das Setting ist dem der Computerspiele ähnlich: In einem von Krieg verwüsteten Land müssen der Hexer Geralt von Riva, die Zauberin Triss Merigold, der Barde Dandelion (im Deutschen: Rittersporn) und der Zwerg Yarpen Zigrin durch die Erfüllung von Quests Siegpunkte (victory points) erlangen. Es gewinnt, wer über die meisten Punkte verfügt, nachdem der erste Spieler drei Hauptquests (main quests) erfüllt hat und jeder weitere Mitspieler noch einen letzten Zug durchführen durfte.

Harte Fakten

2-4 Spieler

ab 14 Jahre

2 Std. Spielzeit,

tatsächlich 3 Std.

Kaum Interaktion

Ähnelt Arkham Horror

Nicht kooperativ,

sehr kompetitiv

Schönes Artwork,

tolle Aufmachung

4 detaillierte Figuren

Fordernd, teils

frustrierend

Für Fans kein Muss,

trotzdem schön

Quests können Spieler absolvieren, indem sie ihre Heldenfiguren über das Spielbrett bewegen und Hinweismarker sammeln (lead tokens) oder Investigationskarten ziehen (investigation cards), die verschiedene Aufgaben, Chancen oder Hindernisse bereithalten, die letztlich auch, aber nicht nur mit Hinweismarkern belohnt werden (dazu unten mehr). Sind genug davon gesammelt, lassen sich die Marker gegen Beweise eintauschen, von denen es zur Erfüllung einer Hauptquest meist zwei braucht, wenn nicht grad wie in seltenen Fällen auch ein Batzen Goldstücke genügt. Weitere Siegpunkte lassen sich über optionale Nebenquests (side quests) machen, von denen jede Hauptquest zwei hat. Meist verlangen diese Hinweismarker, Goldstücke oder, dass ein bestimmter Ort auf dem Spielbrett aufgesucht wird. Zudem können gegnerische Spieler durch die Erfüllung von Unterstützungsquests (support quests) punkten, aber Vorsicht: Auch der Spieler, dem die Hauptquest gehört, bekommt Punkte dafür. Die Spieler müssen also abwägen, ob sie diese Art der Quests durchführen wollen.

Hier hätte es zu mehr Interaktion am Spieltisch kommen können. Besitzern einer Hauptquest liegt allerdings wenig daran, Mitspieler zu einer Unterstützungsquest zu motivieren oder ihnen durch Handel mit Hinweismarkern gar dabei zu helfen, weil diese doppelt so viele Punkte wie er erhalten. Besser wäre es gewesen, wenn eine Unterstützungsquest den Spieler auch wirklich unterstützt hätte, ihm also dabei geholfen hätte, die Hauptquest leichter abzuschließen.

 

Der Spielzug: durch das Land reisen und Nachforschungen anstellen

Die Spielzüge sind durch fünf mögliche Aktionen strukturiert, die jedem Helden zur Verfügung stehen und von denen ein Spieler pro Zug zwei ausführen darf. Das sind Reisen, Ausbilden, Nachforschen, Rasten (travel, develop, investigate, rest) sowie eine Spezialfähigkeit, die in der Regel dazu dient, Fähigkeiten aufzuladen. Reisen und Rasten sind Selbstgänger: Der Held kann sich übers Spielbrett bewegen und dort, wo er stehen bleibt, automatisch einen Hinweismarker einsammeln oder innehalten und Wunden aus Kämpfen kurieren. Wer eine Aktion auf Ausbilden verwendet, darf zwei Karten von dem Fähigkeiten-Stapel seines Helden ziehen (development deck) und eine behalten. Bei Geralt sind dies Hexerzeichen, mit denen er Würfelergebnisse modifizieren kann, oder Tränke, die er durch seine Spezialfähigkeit Brauen (brew) auflädt. Für Triss Merigold sind dies ihre Zauber oder magischen Artefakte, die sie ebenfalls mit einer Spezialfähigkeit aufladen muss (prepare). Bei dem Barden Dandelion sind es dagegen Freunde, die er mit Gold nach Belieben bestechen (bribe a friend) und derart zum Beispiel Vorteile im Kampf erhalten kann oder diesem für einen Zug sogar entgehen. Das Gold wiederum erhält er durch seine Spezialbefähigung Singen (sing).

Eine Sonderrolle nimmt Yarpen Zigrin ein. Der Zwerg erhält aus seinem ‚Fähigkeiten‘-Stapel ausschließlich Waffen, Rüstungen und Gegenstände, die genauso wie bei den anderen Helden aufgeladen werden müssen. Nur kann der Zwerg über seine Sonderfähigkeit Kommandieren (command) zwei seiner vier Zwergenkollegen befehligen und so aus vier schon bei Start vorhandenen Fähigkeiten wählen, von denen eine wie bei den anderen Helden das Aufladen von Fähigkeitskarten bewirkt, eine andere das Verschieben von Monstern in eine Nachbarregion oder das Beschaffen von Gold.

Zur Bewältigung der Quests führt einerseits das Bereisen gewisser Orte, an denen der Spieler einen Hinweismarker ziehen darf, oder die Fähigkeit Nachforschen. Hierbei kann der Spieler von einem der drei Investigationskartenstapel eine Karte ziehen: von dem violetten (Diplomatie), dem roten (Kampf) oder dem blauen (Magie). Die Farben dieser Stapel entsprechen meist auch den Farben der Hinweismarker, die man einfach so oder nach einer kleinen Aufgabe erhält. Manchmal geht man auch leer aus und sieht sich nur mit Ärger konfrontiert. Die drei Farben spiegeln sich zudem in den drei Stapeln für Hauptquests wider, die jeweils an einen der Helden gebunden sind. Geralt bewältigt rote Kampfquests, Dandelion violette Diplomatiequests und Triss Merigold blaue Magiequests. Yarpen Zigrin kann zwischen Rot und Violett wählen. Meist braucht es zwei verschiedenfarbige Beweise und damit verschiedenfarbige Hinweismarker, die sich gegen Beweise eintauschen lassen. Dadurch ist ein Geralt-Spieler auch dazu angehalten, violette oder blaue Investigationskarten zu versuchen, um entsprechende Hinweismarker zu erhalten.

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Verschiedene kleine Extraregeln bringen bei den Nachforschungen etwas Abwechslung in das stetige Sammeln von Markern. Manche Investigationskarten warten mit längerfristigen Mini-Quests auf (Gehe nach X, Sammle X) oder bringen Vorteile, wenn man sie sammelt und mit anderen kombiniert.

Das kriegsversehrte Land ist voller Gefahren und Frustration: die Hindernisse auf dem Weg zur absolvierten Quest

2015 06 08 00002Den Spielern macht die Spielmechanik das Absolvieren ihrer Quests nicht leicht, da sie am Ende ihres Zuges Hindernisse (obstacles) erwarten, die sich in den sechs verschiedenfarbigen Regionen des Spielbretts ansammeln. Das können Monster oder Schicksalsmarker (foul fate tokens) sein. Der Spieler kann sich den Hindernistyp aussuchen, sogar welchem der verdeckt ausgelegten Monsterkarten er begegnen will, von denen es die drei Stärkegrade Bronze, Silber und Gold gibt. Ein Schicksalsmarker bedeutet, dass der Spieler eine Schicksalskarte (foul fate card) ziehen muss, die fast immer negative Effekte mit sich bringt, etwa neue Marker dieser Art, Wunden, Goldmonster, Verlust von Hinweismarkern oder Siegpunkten usw. Oft betrifft die eintretende missliche Lage nicht nur den Spieler, der sie 2015 06 08 00011auslöst, sondern alle am Tisch. Die Karten repräsentieren passend zur Hintergrundgeschichte die Kriegswirren, die das in die Nordländer einfallende Nilfgaarder Imperium auslöst.

Befindet sich kein Hindernis in einer Region greift die Regel Advance the War Track, die abwechselnd neue Schicksalsmarker und Monster auf das Brett bringt. Gleiches kann auch durch Investigationskarten eintreten (investigation cards), weshalb diese ein zweischneidiges Schwert sind: Wer seine Nase in fremde Angelegenheit steckt, kann sich in diesem Spiel schnell Ärger einhandeln. Das ist besonders ärgerlich, weil jede Wunde eine der fünf Aktionen blockiert und Aktionen so auch verflucht werden können, indem sie mit einem Schicksalsmarker belegt werden. Das nächste Mal, wenn der Spieler die Aktion nutzt, legt er den Marker ab und muss eine Schicksalskarte ziehen. Zusammen mit den regelmäßig auftretenden Monstern ist ein Held schnell immobilisiert, weil alle seine Aktionen verflucht sind und er bereits mehrere Wunden 2015 06 08 00003aus Kämpfen davongetragen hat. Derart gibt es bald kaum mehr Züge, in denen die Helden völlig frei agieren können. Manchmal werden in einem Zug deswegen mehrere Schicksalskarten von nur einem Spieler gezogen, die wieder neue Monster und neue Schicksalsmarker nach sich ziehen. Es entsteht schnell eine endlose Spirale an übermäßig vielen Hindernissen, mit denen man zwar gut zurechtkommt, die das Spiel aber immens verlangsamen und manchmal auch frustrierend sind. Manches Mal fühlt man sich zu stark blockiert und scheint nicht voranzukommen.

2015 05 11 00001Das verbessern die rar gesäten Glückskarten (good fortune cards) nur wenig. Sie repräsentieren durchweg positive Ereignisse, etwa das Zusammentreffen mit einem Wanderer, der sich als guter Freund entpuppt. Dennoch: Es lohnt sich, die Helden schnell weiterzuentwickeln, da ihnen neue Fähigkeiten Optionen an die Hand geben, Hindernisse zu bewältigen oder sie zu umgehen. Da aber pro Zug, wie gesagt, nur zwei Aktionen zur Verfügung stehen, die Helden oft ausruhen oder sich entwickeln müssen, geht es mit der Suche nach Hinweismarkern nur schleppend voran. Umso tragischer ist es da, dass Spieler miteinander kaum interagieren können, außer durch Handel, der aber nur von marginaler Bedeutung ist, da man doch sehr darauf achten muss, seine eigenen Quests durchzuboxen. Entsprechend sammelt man kaum Hinweismarker einer Farbe, die man nicht braucht und mit eben denen will man ja nur handeln. Darüber hinaus müssen die Fähigkeiten, die den Spieler von Hindernissen erlösen, mittels der Spezialfähigkeit aufgeladen werden. Auch das kostet Aktionen. Derart ist das Spiel ähnlich fordernd (und vertrackt) wie etwa Arkham Horror, nur dass die Spieler dort gemeinsam gegen die Spielmechanik spielen und nicht jeder für sich. Ein generelles Zusammenspiel oder mehr Optionen dazu hätte nicht nur den Spielspaß erhöht, sondern auch besser zur Hintergrundstory gepasst, bedenkt man, dass es im literarischen Original von Andrzej Sapkowski doch gerade eine Gruppe von Helden ist, die sich auf der Suche nach einem Mädchen durch Kriegsgebiet kämpft.

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Fazit: Fordernd, aber zu wenig Interaktion am Spieltisch

Insgesamt ist The Witcher Adventure Game ein forderndes Brettspiel mit leider wenig Interaktionsmöglichkeiten für die Spieler, dafür aber sehr schön gearbeitetem Artwork und generell sehr guter Verarbeitung. Sogar die wieder verschließbaren Tüten für Karten und andere Einzelteile werden mitgeliefert, zumindest zum Teil. Denn leere Tüten für Marker aus dem Druckrahmen, die beim erstmaligen Öffnen des Spielkastens noch eingeschweißt sind, gibt es nicht. Das Brettspiel macht Spaß, auch wenn es nicht zum regelmäßigen Spiel einlädt. Wer nichts mit The Witcher anfangen kann oder nichts darüber weiß, den werden die vielen Einarbeitungen der Hintergrundgeschichte nur wenig interessieren. Vielleicht ist das Brettspiel daher eher etwas für Fans, die auch den Flair mögen und die Schwächen der Spielmechanik deswegen verschmerzen können. Ich habe hier nicht alle, aber die wichtigsten Regeln angesprochen. Weiteres findet sich zum Beispiel in dem Einführungsvideo der Entwickler.

Im Heidelberger Spieleverlag ist das auch als App erhältliche Brettspiel unter dem Namen The Witcher Abenteuerspiel mittlerweile auf Deutsch erschienen.

Einführungsvideo zum Brettspiel The Witcher

Letzte Änderung amMontag, 04 September 2017 09:12
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Horror ist eine Gattung der Phantastik, in deren Fiktionen das Unmögliche in einer Welt möglich und real wird, die der unseren weitgehend gleicht, und wo Menschen, die uns ebenfalls gleichen, auf diese Anzeichen der Brüchigkeit ihrer Welt mit Grauen reagieren.“ – Hans. D. Baumann: Horror. Die Lust am Grauen. Weinheim 1989, S. 109.

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