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„Raw“, eine Geschichte über Emanzipation und Transformation

Filmplakat (Ausschnitt) Universal Pictures Filmplakat (Ausschnitt)

Eine junge Frau studiert Tiermedizin und entdeckt viele neue Möglichkeiten, die das Leben zuvor nicht geboten hat: Freiheit, Party, Alkohol und Fleischeslust.

Rezension

Raw 1Das Erwachsenwerden bringt Veränderungen mit sich. Der Körper bildet mehr Haare aus, die Libido wird geweckt und oftmals beginnt ein neuer Lebensabschnitt. So auch bei Justine (Garance Marillier), die als jüngste Tochter der Familie in die Fußstapfen einer Reihe von erfolgreichen und angesehenen Veterinären treten soll. Sie wird an derselben Hochschule für Tiermedizin untergebracht wie ihre Schwester Alexia (Ella Rumpf), die bereits in einem höheren Semester dort studiert. Zu Beginn ist erstmal alles neu, viele Sinneseindrücke prasseln auf Justine ein: Partys, Alkohol und Fleischeslust. Im Fall von Justine bedeutet dies, dass die Hardcore-Vegetarierin – das sind alle Familienmitglieder – wie aus dem Nichts das Bedürfnis verspürt, Fleisch zu verspeisen, je frischer, desto besser.

Raw funktioniert am besten, wenn man rein gar nichts über das Werk weiß. Wer mehr Sicherheit benötigt, kann sich guten Gewissens darauf verlassen, dass die hervorragenden Kritiken gerechtfertigt sind. Regisseurin und Drehbuchautorin Julia Ducournau gelingt es, eine Geschichte über das Erwachsenwerden, Familienbande, Rivalität und dunkle Geheimnisse zu präsentieren, die dramaturgisch hervorragend getaktet ist. Die Figurenzeichnung nimmt viel Raum in diesem Werk ein, was die emotionale Wirkung unterstützt. Im Zentrum steht die Transformation, nicht nur der Protagonistin selbst, sondern auch ihres Umfeldes. Es erscheint so, als ob eine Veränderung nur von einem Menschen selbst ausgehen kann, das Umfeld reagiert darauf.

Raw 3

Raw 2Gelegentlich lädt der Film zum Schmunzeln ein, was in anderen Passagen mit extremen Bildinhalten konterkariert wird. In ruhigen Bildern wird ein zunehmendes Grauen eingefangen, das die visuelle Schrecklichkeit in etwas Ästhetisches verklärt. Dabei ist es auch den herausragenden Schauspielleistungen zu verdanken, dass Raw zu keinem Zeitpunkt Längen aufkommen lässt. Schockierend ist die schleichende Transformation der Hauptperson, bei der von Bodyhorror bis Ekel und Gewalt einige klassische Motive des Horrors angewendet werden. Interessant ist dabei, wie bekannte Filmsequenzen klassischer Erzählelemente neuerlich durchdacht und im gegebenen Szenario neue ausgedeutet werden. Dadurch bringt Raw frisches Blut in die Venen des extremen Horrorfilms.

Aus Frankreich kommen seit mittlerweile mehr als fünfzehn Jahren mit Regelmäßigkeit hervorragende Filme, die Grenzen brechen, neue Ideen bringen und dadurch eine neue Dimension des Extremen erreicht haben. Dies geschieht mal leise und mal laut, mal als Herausforderung der ethischen Grenzen, mal als Spiegel der Gesellschaft und des Zeitgeistes, doch alle diese Werke haben gemein, dass diese eine neue Welle des französischen Films ausgelöst haben, die „neue französische Härte“, wie sie in unserem Blog als Schlagwort existiert. Raw macht hierbei keine Ausnahme. Langsam inszeniert und mit punktuellem Ekel ist Raw eine Herausforderung, bei der man sich selbst ein Urteil über die vermittelte Botschaft bilden sollte.

Auf Raw musste man in Deutschland lange warten, doch das hat sich gelohnt. Der Film ist ein Unikat und schafft einen Spagat zwischen Themen und Genres, den es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Weniger offensiv, aber nicht weniger provokativ als andere Vertreter der neuen französischen Härte, passt auch dieser Film in keine Schublade. Je weniger man darüber weiß, umso größer ist der Filmgenuss. Hinweis: Kann Elemente von Schrecken enthalten!

Trailer zu Raw

Infokasten

„Raw“ (OT: Grave)

Regie: Julia Ducournau

Drehbuch: Julia Ducournau

Laufzeit: 99 Minuten

Produzent: Jean des Forêts

Verleih: Universal Pictures

Frankreich |Belgien | Italien | 2016

Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

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