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Vortragmanuskript: "Battle Royale" als gesellschaftliche Zeitgeistkritik

Filmausschnitt (Ausschnitt) Capelight Pictures Filmausschnitt (Ausschnitt)

Am 31.08.2019 wurde BATTLE ROYALE in der kuratierten Filmreihe Mondo Grindhouse vorgeführt und von mellowdramatix.de präsentiert. Nachstehend der einleitende Vortrag.

Kinji Fukasakus Battle Royale als Gesellschaftskritik und Kritik am Zeitgeist von Thomas Heuer

Vortrag vom 31.08.2019, gehalten im Traum-Kino Kiel

Guten Abend und herzlich willkommen zum ersten Geburtstag des Mondo Grindhouse, hier im Traum-Kino in Kiel. Vor einem Jahr haben sich hier Filmenthusiasten abseitiger und extremer Filme erstmals zusammengefunden und durften THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE auf der großen Leinwand genießen. Angetrieben von Peter, einem motivierten Filmemacher und -enthusiasten, und mit der Unterstützung von Andreas hier im Traum-Kino, entstand und entsteht eine kuratierte Filmreihe der besonderen Art. Zum ersten Geburtstag hat sich ein bisschen was geändert.

Nun bin ich selbst Teil des Teams, das diese Veranstaltungsreihe vorbereitet und ihr Herzblut hinein investiert. Beginnend ab heute darf ich die Filme im Mondo Grindhouse mit einem Vortrag eröffnen und dabei einige relevante Aspekte zu den Werken selbst oder dem abseitigen Film bzw. Genre-Informationen beisteuern. Außerdem haben wir mit Blitz Records einen Sponsor verloren, was wir sehr bedauern, dem Team aber für die Unterstützung und Zusammenarbeit nochmals danken möchten und allen ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles Gute für die Zukunft wünschen. Als einen neuen Sponsor konnten wir das in Kiel ansässige Online-Fachmagazin mellowdramatix.de gewinnen, das einige der Preise und Inhalte der Random-Survival-Bags bereitgestellt hat. Einige der DVDs in den Taschen sind zudem von Blitz Records.

Heute zeigen wir einmal mehr einen Skandalfilm. Allerdings war es nicht nur hier in Deutschland ein Skandalfilm, aufgrund der jugendgefährdenden Thematik und der zeitweilig als gewaltverherrlichend geltenden Visualisierung des Werkes besitzt BATTLE ROYALE hierzulande eine lange Geschichte von Zensur, Indizierung und Beschlagnahme, bevor das Werk 2017 dann endlich als Kunst eingestuft und erstmals ungekürzt in Deutschland veröffentlicht wurde. Die Gewalt war das große Problem hier bei uns in Deutschland. Die Präsentation von Minderjährigen, die sich gegenseitig abschlachten, deren Köpfe explodieren und Gewalt unreflektiert einsetzen, das ist einfach zu viel für mündige deutsche Filmliebhaber. Betrachtet man das Werk aus dieser Perspektive, wird die gesamte Essenz des Werkes unterschlagen. Die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft wird hierbei vollkommen außer Acht gelassen. Besonders in Japan hat der Film allerdings für eine politische Debatte gesorgt:

„2000 Kinji Fukasakus umstrittener Battle Royale – Nur einer kann überleben wird von Abgeordneten des japanischen Parlaments kritisiert und entfacht eine Debatte über Medien und Gewaltdarstellungen“, zunächst in Japan und später in weiteren Teilen der Welt (Galbraith und Duncan 2009: 187). Man sollte in diesem Zusammenhang berücksichtigen, dass BATTLE ROYALE innerhalb Japans nicht als Horrorfilm beworben wurde und auch nicht Teil der J-Horror-Welle ist, die in etwa von 1996 bis 2004 jene japanische Filme hervorbrachte, die in Hollywood internationalisiert und als Remake erneut auf die Kinoleinwand zurückkehrten (vgl. Wada-Marciano 2009: 34). Zu diesen Filmen gehören beispielsweise KAIRO – PULSE (2001) und dessen Remake PULSE von 2006 oder auch Takashi Miikes THE CALL (2003) und dessen Remake TÖDLICHER ANRUF von 2008 sowie Takashi Shimizus JU-ON von 2000 und THE GRUDGE von 2004. Shimizu setzt dabei dem internationalisierten Remake die Krone auf, indem er sowohl im Original als auch im Remake die Regie übernimmt.

Während diese Werke alle dem J-Horror zugeordnet werden, handelt es sich bei Battle Royale um die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Kôshun Takami aus dem Jahr 1999. In der Folge wurde der Film innerhalb Japans als „bungei-mono“ vermarktet, was in etwa so viel bedeutet wie Literaturadaption (vgl. Wada-Marciano 2009: 34). Bereits der Roman thematisiert die Ängste einer jungen Generation und im Speziellen die Furcht davor, wie jene damit umgehen werden, die die Macht haben, etwas zu verändern. Im Kontext dieser Lesart ist das Werk heute, vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Umgangs mit Flüchtlingen, ebenso international lesbar. Hierzu werde ich später noch etwas ausführen.

Die Gesellschaftskritik von BATTLE ROYALE begründet sich innerhalb des japanischen Gesellschaftssystems. Das Werk stellt eine radikale Konfrontation mit der Politik und dem System in Japan dar. Hierbei wird die Gewaltdarstellung schnell aufgegriffen, um das Werk selbst als etwas Minderwertiges, Krudes und Verächtliches darzustellen. Als eine Art von Abwehrmechanismus. Das Werk wird schlechtgeredet, weil es Kritik am Zeitgeist anbringt. Um diese besser verstehen zu können, möchte ich einen Abschnitt aus meinem Aufsatz „Battle Royale’s Gesellschaftskritik“ von 2013 vortragen.

„Die japanische Gesellschaft ist anders als unsere. In Japan lässt sich die Gesellschaft in Gruppen einteilen. Diese Gruppen beinhalten immer eine bestimmte Menge von Personen und können ebenfalls Teile von anderen Gruppen sein. So gehört eine Schulklasse beispielsweise zum einen zur Gruppe der Schüler einer bestimmten Schule und stellt zum anderen eine eigenständige Gruppe dar. Gleiches gilt auch in Unternehmen. Die Mitglieder der Gruppe untereinander haben dabei eine grundsätzliche Loyalität zueinander. Solange ein Mensch in Japan Teil einer solchen Gruppe ist, verbringt er sowohl seine Arbeits-/Schulzeit als auch seine Freizeit mit den Menschen dieser Gruppe. Dabei ist die niedrigere Gruppe grundlegend die wichtigere, jene, in der eigene Kollegen oder Klassenkameraden ebenfalls Teil der Gruppe sind. Lediglich bei Veranstaltungen, bei denen beispielsweise zwei Schulen in einen sportlichen Wettkampf treten, bekommt die übergeordnete Gruppe eine Bedeutung. Dabei gilt es als ganze Klasse hinter der Schule zu stehen. Dies tun dann alle Klassen und somit vertreten diese Gruppen als Ganzes die Gruppe der Schule (vgl. Nakane 1972 S. 1-22; Pohl 2002 S. 235-243 und Doi 1981).

Nach den Anschlägen der Aum-Sekte auf die U-Bahn von Tokyo, einem Erdbeben mit mehr als 5000 Toten in der Region Kobe/Osaka und dem Platzen der Wirtschaftsblase war die japanische Gesellschaft stark erschüttert. [Der Japanologe] Manfred Pohl spricht in diesem Zusammenhang von einem „annus horribilis“, einem Schreckensjahr (2005 S.102). Diese Umstände begünstigten die folgende Welle des J-Horrorfilms […]. Die japanischen Horrorfilme reflektieren wie ihre Artgenossen aus aller Welt die Ängste einer Zeit. Japan war in dieser Zeit von einigen Ängsten geprägt. Erstmalig war die Struktur des „live-time employment system“, wie Chie Nakane es bezeichnet (1972, S. 14), gefährdet. Zuvor hatten weder Arbeitsknappheit noch Arbeitsüberschuss dieses System gefährden können. Nachdem die Wirtschaftsblase geplatzt ist, gab es in Japan erstmals Massenarbeitslosigkeit und somit eine neue Form von Gruppe[: Arbeitslose]. Da das Einkommen in Japan viel über den gesellschaftlichen Stellenwert einer Familie aussagt, wurden somit ebenfalls Zukunftsängste erschaffen (Nakane 1972 S. 14-15; Pohl 2002 S. 89-90).

Zusätzlich begann die junge Generation von Japanern zunehmend das System der „Alten“ in Frage zu stellen. Die Spitze dieser Entwicklung ist das Streben nach Individualität in einer Gesellschaft, die aus Gruppen besteht. Somit entwickelt sich eine Form von Widerstand und Rebellion gegen das Establishment. Als Reaktion auf diese Entwicklung fürchteten viele der älteren Japaner eine Degeneration ihres bestehenden Gesellschaftsbildes.“ (Heuer 2013: 3-4)

Widerstand gegen dieses bestehende System regt sich in vielen Formen der Kunst. Folglich verwundert es wenig, dass die Stoffe in Medieninhalten um die Jahrtausendwende in Japan, aus einer japanischen Perspektive heraus, im höchsten Maße brisante Inhalte enthielten. In der Verfilmung von Battle Royale erreicht diese Systemkritik eine neue Ebene, da nicht mehr nur textuell, sondern auch visuell vermittelt wird, wie die junge Generation von Japanern ihre Zukunft betrachtet und welches Schreckensszenario darin thematisiert wird.

Die Zuspitzung des Erfolgsdrucks, der auf jedem einzelnen in Japan geborenen Kind lastet, findet sich im Grundaufbau des Battle Royale. Eine Schulklasse wird von der Regierung, den „Alten“, ausgewählt, damit diese im Kampf auf Leben und Tod die eine Person aus ihren Reihen hervorbringt, die im etablierten Japan weiterhin existieren darf. Durch das Töten der Mitschülerinnen und Mitschüler wird zudem der Charakter geprägt. In einer kapitalistischen Welt muss man bereit sein, über Leichen zu gehen, um seine Ziele durchzusetzen. Für Mitmenschlichkeit, Harmonie, Freundschaft oder Liebe gibt es in dieser Welt keinen Raum. Eine perverse Form einer natürlichen Auslese findet sich in diesem Szenario (vgl. Williams 2006).

Von vielen wurde BATTLE ROYALE als ein gewalttätiges Werk eingestuft. Viele fühlen sich laut Filmwissenschaftler Tony Williams sogar davon abgestoßen (2006: 134). Allerdings stellt er etwas fest, was nur wenige Wissenschaftler zuvor getan haben, nämlich die hohe gesellschaftliche Relevanz des Werkes im Kontext einer jungen Generation, die sich mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert sieht. Tatsächlich fokussiert der Film weniger die Gewalt als solche, es sind gelegentliche Ausbrüche innerhalb des Werkes, die ein Scheitern des bestehenden Gesellschaftssystem verdeutlichen, in einer Situation in der die Ethik aufgehoben wurde, wenn nur noch das Recht des Stärkeren gilt und soziale Konventionen und Normen keine Rolle mehr spielen (vgl. Rentsch 2000: 46-80). Genau vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Inszenierung auf die Figuren, die erkennen müssen, dass ihre Leben in Kürze enden werden. Einige wählen den Freitod, andere bilden Gruppen, um das System zu besiegen, als letzte Bastionen des alten Systems, die sich gegen das neue stellen. Diese Gruppen zerbrechen aus vollkommen unterschiedlichen Gründen und doch sollte man diesen Gedanken der Kollision eines neuen Gesellschaftsbildes gegenüber dem vorherigen während der Rezeption von Battle Royale immer präsent haben. Sei es in dem düsteren Vorzeichen der einläutenden Eröffnungssequenz zu Vivaldis Requiem oder in der letzten Sequenz des Films, in der gar ein wenig Hoffnung mitschwingt.

Um die Gesellschaft noch besser abbilden zu können, erhalten die Schülerinnen und Schüler für das Battle Royale einen Ausrüstungsbeutel, der zufällig gepackt ist, abgesehen von einer Karte und einem Kompass. Dies verdeutlicht die Unterschiede der Herkunft eines Menschen und negiert den Glauben daran, dass eine Chancengleichheit im System mehr ist als ein Mythos. Während einige mit Waffen ausgestattet werden, erhalten andere eine Bratpfanne oder noch nutzloseren Tand. Die Gesellschaft wird hier systematisch abgebildet und mit dem optimistischen Ansatz dargestellt, dass man nur wollen muss, um Erfolg zu haben. In Anlehnung an diese Sequenz haben wir heute hier an die ersten fünf Kinobesucher einen Random-Survival-Bag ausgeteilt. Darin finden sich zufällig zusammengestellte Gegenstände und ein paar Geschenke zum Jubiläum des Mondo Grindhouse. Ich empfehle, sich nach dem Genuss des Films die Gegenstände aus dem Beutel nochmals zu vergegenwärtigen und zu überlegen, wie man mit diesen in einer solchen Situation wohl überleben können wird. Um zu beweisen, dass Wissen eine der stärksten Waffen ist, verlosen wir gleich noch zwei gut gefüllte Random-Survival-Bags.

Battle Royale vermittelt ein zutiefst negatives Bild des Zeitgeistes. Denken wir einige Jahre weiter, dann kann es geschehen, dass uns Menschen das Wasser buchstäblich bis zum Hals stehen wird und wir dennoch verdursten könnten. In diesem Zusammenhang sollte Battle Royale auch als ein aktuelles Werk verstanden werden, in einer Zeit, in der die jungen Menschen freitags auf die Straße gehen, um ihre Zukunft zu schützen und dafür von vielen belächelt werden.

Literaturverzeichnis

Galbraith, Stuart; Duncan, Paul (2009): Japanese cinema. Hong Kong: Taschen.

Heuer, Thomas (2013): Battle Royale's Gesellschaftskritik. In: Mellowdramatix | Fachmagazin für Phantastik, Horror und Science Fiction. Online verfügbar unter http://mellowdramatix.de/texte/forschung/Battle-Royale_T.Heuer.pdf.

Rentsch, Thomas (2000): Negativität und praktische Vernunft. Orig.-Ausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1463).

Wada-Marciano, Mitsuyo (2009): J-horror. New Media's Impact on Contemporary Japanese Horror Cinema. In: Jinhee Choi und Mitsuyo Wada-Marciano (Hg.): Horror to the extreme. Changing boundaries in Asian cinema. Hong Kong, London: Hong Kong University Press; Eurospan distributor (TransAsia), S. 15–37.

Williams, Tony (2006): Case Study: Battle Royale's Apocalyptic Millennial Warning. In: Jay McRoy (Hg.): Japanese horror cinema. Reprinted. Edinburgh: Edinburgh Univ. Press (Traditions in World Chinema), S. 130–143.

Quellen, genannt aus Heuer 2013

Doi, Takeo (1981) The Anatomy of Dependence – The Key Analysis of Japanese Behavior, 2. Auflage, Übersetzung John Bester.Kodansha International: Tokyo, New York & San Fransisco

Nakane, Chie (1972) Japanese Society, 2. Auflage. University of California Press: Berkley & Los Angeles

Pohl, Manfred (2002) Japan, 4. Auflage. C.H. Beck: München

Pohl, Manfred (2005) Geschichte Japans, 3. Auflage. C.H. Beck: München

Letzte Änderung amMittwoch, 02 Oktober 2019 17:45
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

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