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Gaming

Zu heftig für Deutschland: „Dying Light“ von Techland

Screenshot Techland Screenshot

Das First-Person-Zombieapokalypse-Survival-Spiel Dying Light ist ein besonderes Werk. Selten hat Horror in einem Videospiel derartige Immersion erzeugt. In Deutschland wird es nicht veröffentlicht.

Angespiel: Rezension und Einordnung

Dying Light war einer der Gründe, warum eine PS4 besonders interessant erschien. Denn zunächst sollte der Zombie-Survival-Horror ausschließlich auf Sonys Next-Generation-Konsole erscheinen. Das ist jetzt nicht mehr aktuell, denn der Multiplattform-Release fand auf PS4, XBox One und PC (über Steam) statt. Dies geschah in mehreren Ländern an unterschiedlichen Tagen, außer in Deutschland, denn für den Markt hierzulande ist das Spiel ungeeignet, wie die USK befand. Dies rief dann auch noch die BPJM (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) auf den Plan, welche das Spiel mit einer einstweiligen Indizierung auf Liste A versah, obwohl Produzent Techland sich bereits entschieden hatte, Dying Light in Deutschland nicht zu veröffentlichen. In Österreich und der Schweiz, den anderen deutschsprachigen Märkten, erschien das Spiel am vergangenen Freitag, wodurch es kein Problem darstellt, Dying Light auch als Deutscher auf einer Konsole zu spielen.

Überlebenskampf in einer Stadt voller Misstrauen

DL 6In Dying Light schlüpft der Spielende in die Rolle eines Soldaten namens Crane, der von einer Regierungsinstanz, genannt GRE, in die Stadt Harran geschickt wird, um einen Verräter zur Strecke zu bringen. Doch zunächst kommt alles anders. In Harran angekommen, wird man nicht etwa von Zombies attackiert, sondern von einer Begrüßungstruppe aus Schlägern, die nichts Besseres zu tun hat, als den Neuankömmling fast tot zu prügeln. Der Beginn der Handlung ist schwach, aber die effektvolle Inszenierung reißt an dieser Stelle einiges heraus. Während man von anderen Menschen gerettet wird und sich plötzlich in einem Turm wiederfindet, einer der letzten Bastionen in menschlicher Hand, von dem aus eine Gruppe Überlebender unter der Führung eines Mannes Namens Brecken agiert. Spätestens jetzt ist die deutsche Sprachausgabe anstrengend, obwohl einige bekannte Sprecher dabei sind. Nach dem Umstellen der Konsole auf Englisch beginnen die ersten Missionen. Zunächst gilt es die Grundlagen zu lernen, bei denen man sowohl die stark an Mirrors Edge erinnernde Steuerung spielend vermittelt bekommt, ebenso wie einige Grundlagen für den Umgang mit den untoten Horden. Dann kann es losgehen. Raus aus dem Turm und rein in die Stadt voller Gefahren, sowohl durch Untote als auch durch andere Überlebende, die auf der Suche nach wertvollen Objekten durch die Stadt streifen. Denn der einzige Weg zu überleben ist, die Stadt nach verwertbaren Materialen abzusuchen und daraus das Beste zu machen. Dabei liegt der Fokus auf improvisierten Waffen, aber auch andere Gegenstände können gesucht und gefunden werden, wie etwa Nahrung, Medkits und Zigaretten oder auftragsbezogene Gegenstände, wie Medizin oder Pralinen. Das Absuchen der verfallenden Gebäude inmitten der Zombie-Apokalypse ist der zentrale Aspekt des Spiels und macht – da man nie ein Gefühl von Sicherheit entwickeln kann – viel Spaß durch Nervenkitzel. Zugegeben, Schreckmomente sind rar gesät, aber die grundlegende Stimmung ist bedrohlich und die Atmosphäre von Dying Light ist dicht. Abgerundet wird dies von einer minimalistischen, aber überragenden Soundkulisse, welche ein Eintauchen in die Spielwelt deutlich erleichtert.

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DL 1Der Umgang mit den Untoten verläuft zunächst häufig tödlich. Oftmals stürzt man wegen Steuerungsfehlern von Dächern und findet sich schwer verletzt eingekreist von Schlurfern wieder oder der Übermut treibt einen in den Nahkampf mit den untoten Kreaturen. Zudem sind die Regeln der Spielwelt noch unbekannt. Insgesamt hat Dying Light eine sehr steile Lernkurve. Wenn man das Spiel durchdrungen hat, kann man es auch mal mit einer ganzen Zombie-Meute im Nahkampf aufnehmen und siegreich das Feld verlassen. Wären da nicht einige besonders starke, schnelle, brennende, wiederstandfähige oder verseuchte Zombies, dann wäre man nach einiger Spielzeit in der Lage, ohne größere Mühe die Tage in Harran zu überstehen. Doch was nachts durch die Straßen der Stadt läuft, lässt einem bei jeder Begegnung das Blut in den Adern gefrieren. Nachts mutieren einige der normalen Zombies zu Schattenjägern, monströsen Zombies, welche unglaublich stark und schnell sind. Wenn man diesen begegnet, hilft meist nur noch rennen und verstecken, eine direkte Konfrontation verläuft in ca. 95 Prozent aller Fälle tödlich. Denn wo ein Schattenjäger ist, da sind noch weitere und diese Kreaturen arbeiten gemeinsam und machen gezielt Jagd auf Überlebende. Dadurch werden die Nächte zu einem absoluten Horrortrip, welcher aufgrund der schaurigen Stimmung überragendes Schreckensgefühl vermittelt. Es ist möglich, sich während der Nächte in einer der Sicherheitszonen zu verbarrikadieren und dort zu warten, bis es wieder Tag wird. Als besonderer Anreiz dies nicht zu tun, werden die vergebenen Erfahrungspunkte nachts verdoppelt, wodurch es schnell zu einer Steigerung der Fertigkeiten des Charakters kommt. Stirbt man, verliert man jedoch einige Überlebensstufenpunkte und muss weitere Missionen absolvieren oder Nächte außerhalb von Schutzzonen überleben, um diese wieder aufzufüllen.

Die Spielmechanik: Kämpfe, wenn es nicht anders geht

Dying Light wurde von Techland entwickelt, dem Produktionsstudio, welches bereits mit Dead Island auf sich aufmerksam machte – sowohl bei Spielern als auch bei der BPJM. Daher verwundert es wenig, dass Dying Light eine ähnliche Spielmechanik besitzt wie Dead Island. Allerdings ist das Szenario breiter aufgestellt und es gibt eine komplette Stadt zu begehen und zu erkunden. Parcours ist dabei der Weg zum Ziel: Sprinten über Dächer, Klettern an Wänden und Ähnliches verhindert eine oftmals tödliche Konfrontation mit den Zombiehorden. Einzeln herumschlurfende Untote sind ungefährlich, doch bei den einstmals menschlichen Kreaturen zählt Masse statt Klasse; zumindest in einem bestimmten Rahmen, denn es gibt auch einige besonders starke Zombies. Hier werden Erinnerungen an Left4Dead 1&2 wach. Dabei gibt es aber noch einige andere Referenzen, zu denen weiter unten mehr folgen wird. Anders als bei Left4Dead, ist es in Dying Light jedoch notwendig die Umgebung in den Kampf gegen die Gegner einzubeziehen. Dies geschieht beispielsweise, indem man Ölpfützen entflammt und mit Böllern Zombies hineinlockt oder Zombies dadurch tötet, dass man sie gegen einen herausragenden Spieß oder Schrotthaufen schubst, an dem dieser dann verendet. Da eigene Waffen nur eine geringe Haltbarkeit besitzen und nicht unbegrenzt oft wiederhergestellt werden können, ist es von großer Bedeutung, opportunistisch durch die Straßen zu ziehen und dabei alles gegen die Zombies zu nutzen, was einem die verseuchte Stadt zu bieten hat. Hierbei erinnert Dying Light positiv an die Spielmechanik aus dem Schleichspiel Thief, welches im vergangenen Jahr erschienen ist.

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Spielerisch ist Dying Light anspruchsvoll. Umso erfreulicher ist es, dass man das Spiel auch online mit bis zu vier anderen Spielern in derselben Session spielen kann. Dabei können Aufgaben gemeinsam gelöst werden und auch das Überleben ist leichter, wenn man nicht allein – also ohne Rückendeckung – durch die verlassenen Gebäude streift. Hier erinnert Dying Light sehr stark an Left4Dead. Das ist einer der Gründe, warum das Spielen auch nach vielen Stunden immer noch Neues bietet, obwohl die Spielmechanik eigentlich wiederkehrend ist. Ein großer Unterscheid zwischen den beiden Spielen ist jedoch, dass Left4Dead mit einem linearen Level-Aufbau wenig Abwechslung bietet, während das Open-World-Konzept von Dying Light sowohl durch lineare Missionen als auch durch zufällige Begegnungen – mit Überlebenden oder auch besonders starken Zombies – Facettenreichtum besitzt.

Das Element visueller Gewalt

Dying Light ist ein visuell sehr brutales Spiel, da es dem Spielenden ermöglicht, die Zombies oder verfeindete Überlebende auf verschiedene Arten zu töten. Köpfe zerbersten, Gliedmaßen fliegen durch die Luft und das Blut spritzt, aber das ist ein Faktor, der einem Spielenden mit Denkvermögen dazu anregt, über das Spiel zu reflektieren. Dadurch drängt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer solchen Inszenierung auf. Die Gewaltdarstellung ist hier ein inszenatorisches Mittel, welches die Brutalität des Überlebenskampfes untermalt. Dadurch gelingt es, eine dichte Stimmung weiter zu intensivieren.

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DL 4Für Deutschland ist Dying Light zu brutal; es erscheint hier nicht. Allzulange wird es nicht dauern, bis eine Beschlagnahmung von Dying Light in Deutschland durchgeführt werden wird, die mit einem vollständigen Verbot des Spiels einhergeht. Noch kann man Dying Light im europäischen Umland erwerben. DLCs, von denen es für Dying Light einige gibt, werden allerdings nicht in Deutschland funktionieren. Es gibt Wege diese dennoch zu nutzen, aber dafür sollte man eine Suchmaschine bemühen. Auf diese Weise bleiben den Spielenden in Deutschland nicht nur kleinere Gimmick-Missionen oder Charakteroutfits und Waffen-Pakete verwehrt, sondern vor allem auch interessante Spielmodi, wie Be the Zombie, bei dem man einen Schattenjäger spielt und auf Überlebende Jagd macht. Da die DLCs dem Spiel ohnehin beiliegen, stellt sich die Frage, warum nicht direkt eine Implementierung der Inhalte im Spiel durchgeführt wurde.

Nach rund zehn Spielstunden überkommt mich keineswegs das Bedürfnis, hinauszugehen und Zombies abzustechen geschweige denn meine Mitbürger. Ich habe festgestellt, dass die Welt dort draußen sich nicht dadurch verändert hat, dass ein weiteres brutales Zombie-Apokalypse-Videospiel auf den Markt gekommen ist. Soll heißen, alles ist wie immer, es sind keine Zombies aufgetaucht, was also soll ich nun tun, wo ich doch zehn Stunden die Rolle einer militärisch ausgebildeten Kampfmaschine im Überlebenskampf übernommen habe? Eine Idee wäre beispielsweise zum Kühlschrank gehen und was trinken; oder einfach mal wieder mit Freunden treffen oder einkaufen oder was man sonst so macht, wenn man Spiel und echtes Leben unterscheiden kann.

Fazit

Insgesamt ist Dying Light das erwartet heftige und schwere Horror-Spiel geworden, welches speziell durch die Blitzindizierung der BPJM hierzulande nochmals an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Es bleibt jedoch dabei, dass Dying Light eines dieser Nischenspiele ist, welches von Horror-Connaisseur geliebt und gefeiert werden wird und von allen anderen Spielern vermutlich als unnötig brutales Spiel mit Zombies abgestempelt wird. Da ich zu den erstgenannten zähle, bin ich vollauf begeistert und freue mich über ein schnelles und durch die Art der Inszenierung gleichermaßen dynamisches wie anspruchsvolles Videospiel.

Trailer: Dying Light

 

Letzte Änderung amMittwoch, 08 Mai 2019 17:36
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

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„Unbestreitbar führt das Internet auch zu positiven Veränderungen. Das Negative besteht meiner Meinung nach darin, dass das Internet zu Oberflächlichkeit verleitet, zu spontanen Reaktionen, hinter denen kein langes Nachdenken steckt: Ich habe etwas gelesen, und sofort twittere ich dagegen oder darüber, und dann womöglich auch noch in falscher Grammatik.“

 

Helmut Schmidt im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo (2012) im Zeit Magazin Nr. 17 vom 19.04.2012, S. 57

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