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„Ajin: Demi-Human“ – Thriller über Unsterblichkeit

Artwork (Ausschnitt) Netflix Artwork (Ausschnitt)

Der Anime Ajin: Demi-Human ist ein philosophischer Thriller über Unsterblichkeit mit gelungener Figurenzeichnung. Wendungsreich, spannend, gesellschaftskritisch.

Rezension

Ajin DM 4Kei Nagai will nicht auffallen. Alles, was der junge Schüler sich wünscht, sind gute Noten und ein Platz an einer renommierten japanischen Universität. Karriereorientiert und kühl berechnend, widmet er seine Zeit lieber dem Büffeln als seinem langjährigen Kumpel Kaito. Vor seinen Mitschülern verleugnet er ihn sogar. Denn Kaito passt nicht mehr in Keis Lebensplanung, dafür ist er zu individuell, zu locker und irgendwie zu abweichlerisch. Offenbar will Kaito nichts aus sich machen. Mit so einem kann Kei sich nicht sehen lassen, der auf ein ordentliches, beschauliches Leben hofft, wenn er nur genug dafür tut. All diese Ambitionen und Konformität lösen sich in Schrecken auf, als Kei von einem Laster erwischt wird und sofort tot ist.

Doch bleibt er es nicht. Sein Körper regeneriert sich noch im selben Moment, da die Schaulustigen schockiert umherstehen, und Kei richtet sich benommen auf. Wie sich herausstellt, ist er ein Ajin, einer der wenigen Menschen, die unsterblich sind. Glück im Unglück, könnte man meinen. Doch für Kei ist dies ein fetter Strich durch den Plan, ein guter Bürger zu werden. Ajin haben keine Rechte, sie sind nicht einmal Bürger. Die Regierung jagt sie und sperrt sie weg. Kaum erkennen die eben noch gaffenden Mitschüler, dass Kei gar nicht tot, sondern offenbar ein Ajin ist, für die hohe Kopfgelder gezahlt werden, schon bieten sie ihm hinterlistig ihre Hilfe an. Doch Kei ist nicht dumm und flieht.

Ajin DM 5Ajin: Demi-Human entfaltet aus dem geschilderten Auftakt einen Thriller, der über zwei Staffeln hinweg eine enorme Entwicklung durchmacht. Die Serie ist durchweg auf Spannung konzipiert und packt sie einen, dann lässt sie einen nicht mehr los. Zugleich ist sie sehr philosophisch und zeichnet eine gnadenlose Kritik an der japanischen Gesellschaft, in der Erfolg, Ansehen und Geld ein enorm bedeutender Faktor für das individuelle Glück darstellen, viel bedeutender noch als hierzulande, wo zumindest Alternativen denkbar sind. Nicht nur Kei, die meisten Figuren der Serie definieren sich über gesellschaftliches Ansehen, so etwa Tosaki, der als Teil einer Spezialeinheit dafür verantwortlich ist, entdeckte Ajin einzufangen. Direkt dem Minister unterstellt, gerät Tosaki unter unbeschreiblichen Rechtfertigungsdruck, als sich einige Ajin zu einer Terrorgruppe zusammentun und ganz Japan in Aufruhr versetzen. Ihre Forderung: Bürgerrechte für ihresgleichen, sonst wird es Tote geben. Ihr Anführer Sato ist Ex-Soldat und begnadeter Taktiker, der bald zum Gegenspieler von Tosaki wird und ihm immer ein Schritt voraus ist. Kei wiederum reißt es, obwohl er sich bedeckt halten will, immer wieder in diese größeren Zusammenhänge und so sieht er sich mehrfach mit Sato konfrontiert, der ihn für seine Sache gewinnen will. Allein Kaito versucht seinen Freund Kei zu beschützen, egal ob der nun Ajin oder Mensch ist – schlicht aus dem Beweggrund heraus, dass sie Freunde sind. Mehr muss Kaito nicht wissen. In dem ganzen Durcheinander ist er eine der wenigen idealistischen Figuren.

Die Serie lebt von dem Wechselspiel der Perspektiven und dem anfänglichen Unwissen des Zuschauers darüber, wer auf welcher Seite steht und wie sich die Motivationen der Figuren entwickeln werden. Denn sowohl, wer die Guten und wer die tendenziell Bösen sind, als auch, wer letztlich zusammenarbeitet, wandelt sich über den Verlauf der Handlung. Derweil sich die terroristischen Aktionen zuspitzen und die Autoren der Serie im Detail durchexerzieren, was passiert, wenn Terroristen nicht sterben können. Parallel hierzu kämpft Kei mit seiner inneren Zerrissenheit. Seine berechnende Art ist einerseits auf seine durchaus hohe Intelligenz zurückzuführen, andererseits scheint sie ein Bollwerk gegen seine Emotionalität zu sein, die ihn immer wieder in widersprüchliche und missliche Lagen geführt hat. Ein Fokus der Serie liegt daher auch auf der charakterlichen Entwicklung Keis, der auf seine Art mit der Ambivalenz des menschlichen Daseins umzugehen versucht und permanent zwischen Held und Antiheld changiert. Egoismus und Altruismus sind vor dem Hintergrund einer egoistisch dargestellten Gesellschaft zwei Motivationen und Einstellungen zur Welt, die hier gegenübergestellt werden.

Ajin DM 2Anders, als manche Rezensenten behaupten, ist Ajin: Demi-Human keine Serie auf dem Niveau einer Kindersendung, die mit bloß holzschnittartigen Figuren und einem Protagonisten mit diffusen Selbstzweifeln aufwartet. Es ist das genaue Gegenteil. Wer Keis Entwicklung derart aburteilt, hat offenbar keinen Zugang zu der Serie gefunden und moniert allein dies. Bedacht werden muss allerdings, dass die philosophischen Aspekte dieser Serie nur einen Teil des Ganzen ausmachen und auf ihre Weise zur Spannung beitragen, ebendiese aber im Vordergrund steht und die Serie also vornehmlich dem Unterhaltungsgenre zugeordnet werden kann. Ajin: Demi-Human ist zudem ein sehenswertes Beispiel für eine Geschichte, die der Frage nachgeht, was passiert, wenn ein phantastisches Element – hier die Unsterblichkeit – in ein realistisches Setting übertragen wird – hier die moderne Informations- und Technologie-Gesellschaft. Aus dieser Komposition entwickelt die Serie eine ungeahnte, aber konsequent weitergedachte Handlung, die insgesamt durch eine harsche Gesellschaftskritik, ihre wendungsreiche Figurenentwicklung sowie zahlreiche Spannungsmomente überzeugen kann.

Trailer zu Ajin: Demi-Human

Infokasten

„Ajin: Demi-Human“

Schöpfer: Tsuina Miura, Gamon Sakurai

Produzent: Polygon Pictures

Laufzeit: 24 Minuten / 13 Episoden, bisher 2 Staffeln

Verleih: Netflix

Japan | 2016

 

Die Serie erscheint weltweit digital bei dem Streaming-Dienst Netflix.

Letzte Änderung amMontag, 15 Januar 2018 17:39
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

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