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Film

Fantasy Filmfest Tag 6: Mücken, irre Kasachen und böse Kinder

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Heute im Programm: Mosquito State, Sweetie, you won’t Believe It, The Feast, The Innocents (Centerpiece) und Hard Hit.

Veranstaltungsbericht und Kurzkritiken

Heute läuft das Centerpiece The Innocents. Der Film ist ein bedrückendes Meisterwerk, das Kinder in den Mittelpunkt der Inszenierung stellt. Mit Sweetie, You Won’t Belive it gibt es heute nicht nur einen Crowd-Pleaser erster Güte, sondern auch den ersten kasachischen Film auf dem Fantasy Filmfest in seiner fünfunddreißigjährigen Geschichte. Eröffnet wird der heutige Tag von Mosquito State, einem ästhetisch-expressionistischen Werk des Regisseurs Filip Jan Rymsza. In The Feast entwickelt sich ein gemeinsames Abendessen zu einer Konfrontation mit phantastischen Schrecken. Den Abschluss des Tages macht der südkoreanische Schnulzen-Thriller Hard Hit.

Mosquito State

MosquitoAngesiedelt ist die Geschichte von Mosquito State in der Zeit kurz vor dem Platzen der letzten Finanzblase und der daraus resultierenden globalen Wirtschaftskrise. Der scheue, jedoch brillante Data-Analyst Rich (Beau Knapp) hat einen Algorithmus entwickelt, der dem Investmentunternehmen, für das er arbeitet, unvorstellbar große Gewinne erwirtschaftet. Durch einen Zufall verirrt sich eine Mücke in Richs gigantisches und steriles Penthouse mit Blick über die Stadt. Getrieben von Neugier am Verhalten der Mücken beschließt Rich diese zu beobachten und zu züchten.

Der äußerst ästhetische Mosquito State entführt sein Publikum in einen phantastischen Erzählraum. In dem Penthouse aus Beton und Glas entsteht zunehmend ein Palast für die Mücken. Im Nebenher zeichnet der Film eine spitze Kritik am Turbokapitalismus und zeigt einen Protagonisten, der davor warnt, was geschieht, wenn der Markt überstrapaziert wird. Regisseur Filip Jan Rymsza stellt die Transformation in den Mittelpunkt der Inszenierung. Durch die Gestaltung des Werkes erinnert die Wandlung des Protagonisten zum Herrscher der Mücken an Kafkas Die Verwandlung. Durch die Farbgestaltung und die insgesamt gewählte Dramaturgie erinnert das Gezeigte auch an die Ästhetik einiger Werke von David Cronenberg. Doch diese Vergleiche greifen insgesamt recht kurz, koppelt Rymsza die Transformation des Protagonisten doch an den Niedergang der Wirtschaft insgesamt und zeigt dabei auf, wie kleinste Dinge gigantische Auswirkungen haben können.

Infozeile: „Mosquito State“, R: Filip Jan Rymsza, USA, Polen, 2020, Nameless Media

Sweetie, you won’t believe it

sweetie you want believe itIn dieser schwarzhumorigen Buddykomödie aus Kasachstan geraten drei Kumpels in eine absolut verrückte Lage. Dastan (Daniar Alshinov) wächst seine Ehe über den Kopf. Die Schulden drängen, seine Frau Zhanna (Asel Kaliyeva) ist hochschwanger und liegt ihm ständig mit seinen Fehlern in den Ohren. Darum nutzt er fluchtartig die Gelegenheit, als er mit seinen Kumpels Arman (Azamat Marklenov) und Murat (Yerlan Primbetov) aufs Land hinausfahren kann, um in Ruhe zu angeln. Durch einen dummen Zufall sehen die Drei mit an, wie eine Handvoll schäbiger Gangster einen Mann über den Haufen schießen. Schleunigst nehmen sie Reißaus, und so beginnt eine abgefahrenes Katz- und Mausspiel mit viel Situationskomik und schrägen Zufällen, die alles nur noch schlimmer machen.

Dieser bisweilen blutige Crowd-Pleaser folgt dem Motto Coincidence can kill. Denn on top auf die ohnehin verfahrene Lage kommt auch noch ein einsiedlerischer Serienkiller, der eine persönliche Vendetta gegen die Ganoven verfolgt. Der Filmtitel ist Programm, denn sollte Dastan diese Eskapaden überleben, wie könnte er all das jemals seiner streitsüchtigen Frau erklären, die gerade daheim ein Kind bekommt, während er sich durch die Pampa schlägt?

Infozeile: „Sweetie, you won’t believe it“, R: Yernal Nurgaliyev, Kasachstan 2020, Lighthouse Entertainment

The Feast

Ein gemeinsames Abendessen von insgesamt sieben Personen steht im Zentrum dieses walisischen Films. The Feast zeigt starke, individuelle Figuren und arrangiert diese in einem äußerst engen Szenario. Über weite Strecken spielt The Feast in nur einem Gebäude. Abgesehen von offenkundiger Kritik an politischer Bestechlichkeit und Korruption als realweltliche Schrecken, inszeniert das Werk eine besondere Form von übernatürlicher Bedrohung.

Lee Haven Jones ist der Regisseur des einzigen walisischen Films im Programm des Fantasy Filmfestes 2021. Der ungewöhnliche, atmosphärische und exzellent komponierte The Feast tritt zudem im Wettbewerb um den Publikumspreis an. Dieser Horrorthriller sticht in vielen Belangen aus der Masse heraus und präsentiert zudem eine ganz besondere Form des Schrecklichen. Absolut sehenswert.

the feast

Infozeile: „The Feast“, R: Lee Haven Jones, Großbritannien (Wales), derzeit kein dt. Verleih

The Innocents

Das Centerpiece des diesjährigen Fantasy Filmfestes ist ein beklemmender, tragischer und zugleich wundervoller Coming-of-Age-Horrorfilm. In diesem Werk stehen insgesamt vier Kinder im Zentrum der Geschichte, die sich langsam aufbaut und plötzlich eine unbehagliche Intensität entwickelt.

The Innocents ist ein herausragender Film, der in seiner Form einzigartig ist. Der Schrecken in diesem Werk entsteht aus den Kindern und entwickelt sich innerhalb ihrer freundschaftlichen Beziehungen zueinander. Das Werk schreckt weder vor expliziter Gewalt gegen Kinder noch gegen Tiere zurück. In einigen Momenten ist dieser ruhige Film somit äußerst heftig. Dieser Film ist ein Must-See für alle Cineasten, die dem Düsteren und Phantastischen gegenüber aufgeschlossen sind. Einer der intensivsten Filme des Jahres.

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Infozeile: „The Innocents“, R: Eskil Vogt, Norwegen, Schweden, Dänemark, 2021, Wild Bunch Germany

Hard Hit

Hard 3Ein erfolgreicher Bankmitarbeiter steigt in seinen SUV und will seine Kinder zur Schule fahren, bevor er einen wichtigen Deal für die Bank klar macht. Plötzlich bekommt er einen Anruf von einem Unbekannten, der ihm mitteilt, dass sich in seinem Auto eine Bombe befindet, die gezündet wird, sollte jemand das Fahrzeug verlassen. Außer der Banker erfüllt die Forderungen des Verbrechers.

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um das südkoreanische Remake des spanischen Films Anrufer Unbekannt von 2015. Hard Hit ist die dritte Adaption des Stoffes, nachdem 2018 bereits ein deutsches Remake mit dem Titel Steig. Nicht. Aus. produziert worden ist. Zusätzlich ist mit Retribution eine US-Adaption angekündigt, mit Liam Neeson in der Hauptrolle. Das Drehbuch scheint somit unbeschreiblich gut zu sein, wenn es innerhalb von sechs Jahren vier Mal verfilmt wird.

Derartige Szenarien verlieren erfahrungsgemäß schnell an Spannung. Im Fall von Hard Hit ist dies ebenfalls der Fall, auch wenn der Film bemüht ist, abwechslungsreiche Konfliktsituationen zu schaffen. Es kommt zwar keine Langeweile auf, aber so richtig spannend ist das Gezeigte über weite Strecken auch nicht. Der Film dümpelt im Mittelmaß vor sich hin. Zudem hat das Werk den Nachteil, dass es eben nach einem mittlerweile nicht mehr neuen dramaturgischen Konzept vorgeht. In der Folge verliert der Film zunehmend an Intensität. Interessant ist allerdings eine Szene kurz vor dem Ende, die den Film ins Melodramatische entführt und in Kitsch mündet.

Infozeile: „Hard Hit“, R: Kim Changju, Südkorea, 2021, Capelight Pictures

Letzte Änderung amFreitag, 29 Oktober 2021 22:51
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Video games are bad for you? That's what they said about rock and roll.“

– Shigeru Miyamoto, Videospiele-Entwickler

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