Die eigenen Wurzeln als Kulturschock: „Spell“
- geschrieben von Thomas Heuer
- Publiziert in Film
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Spell ist angesiedelt in der ländlichen schwarzen Subkultur West Virginias und zieht seinen Schrecken aus der kultischen Ritualmagie/Religionspraktik des Hoodoo.
Rezension
Nach dem Tod seines Vaters sieht sich Marquis T. Wood (Omari Hardwick) damit konfrontiert, ins ländliche West Virginia zurückzukehren. Aufgrund heftiger Konflikte mit seinem Vater hatte Marquis seinen Geburtsort so früh wie möglich verlassen und nie zurückgeblickt. Er ist ein erfolgreicher Anwalt, glücklich verheiratet und Vater von zwei Teenagern. Samsara (Hannah Gonera) und Tydon (Kalifa Burton) haben ihren Großvater nie kennengelernt. Beide wissen nur, dass ihr Vater nie über ihn und seine Kindheit in West Virginia gesprochen hat. Auch Marquis‘ Ehefrau Veora (Lorraine Burroughs) hat ihren Schwiegervater niemals getroffen. Trotzdem besteht sie darauf, dass man dem Mann die letzte Ehre erweist. Also macht sich die Familie Wood im eigenen kleinen Flugzeug auf den Weg zurück zu den familiären Wurzeln. In einem Unwetter stürzt das Flugzeug jedoch kurz vor dem Ziel ab.
Als Marquis erwacht, findet er sich auf einem Dachboden wieder. Wie sich herausstellt, befindet er sich in der Obhut von Eloise (Loretta Devine), die sich zur Aufgabe gemacht hat, Marquis wieder auf die Beine zu helfen. Aufgrund einer schweren Fußverletzung kann dieser kaum Laufen. Von Marquis Familie fehlt jede Spur. Die Bewohner des Gehöfts, auf dem Eloise und einige andere leben, teilen Marquis mit, dass es keine Spuren der anderen Familienmitglieder gibt. Derweil werden jedoch drei frische Gräber auf dem Gelände ausgehoben. Will Eloise dem verletzten Marquis wirklich helfen, oder geschieht dort etwas vollkommen anderes?
Spell schafft ein enges Szenario, das in seiner Gestaltung partiell an Stephen Kings Misery erinnert. Eine Eigenschaft, der sich auch Regisseur Mark Tonderai (Hush, House at the End of the Street) bewusst zu sein scheint. Nach etwa einem Drittel des Films setzt er einen Porzellanpinguin prominent ins Bild, ein solcher kommt ebenfalls in der Verfilmung von Kings Werk vor. Allerdings befreit Spell sich schnell von diesem Ansatz.
Anders als bei Stephen Kings Werk ist es hier nicht die Gefangenschaft und die Obsession der Pflegerin, die den Schrecken erzeugen. In Spell wendet die Pflegende übernatürliche Kräfte des Hoodoo an. Hoodoo hat seine mythologischen Ursprünge in einer Vermischung von ursprünglichem, indianischem Glauben und (unter anderem) afrikanischen Voodoo. Hoodoo wurde erstmals von versklavten Afrikaner*innen praktiziert, die nach Nordamerika verschleppt wurden. Der Glaube ist stark mit der Natur verbunden und arbeitet mit Opfergaben und Blutmagie. Ähnlich wie im Voodoo gibt es auch im Hoodoo geschaffene Figuren, die als Abbild und Verbindung zu einem Menschen funktionieren. Diese werden Boogity genannt und dienen für die Kanalisierung von Magie im Hoodoo. Besitzt man die Macht über ein Boogity, so besitzt man auch Macht über die Person, aus dessen Essenz es besteht. Um Spell verstehen zu können, ist dieses grundlegende Wissen über Hoodoo relevant.
Für die meisten Menschen ist eine fremdartige Religion und Kultur bereits etwas Spannendes, im Fall von Voodoo oder Hoodoo oftmals auch etwas latent Bedrohliches. Spell nutzt dieses Potenzial und erschafft ein düsteres Horrorszenario voller Fremdartigkeit und phantastischen Riten mit Tieropfern und Blutritualen. Dabei fokussiert der Film einzelne Momente und konzentriert darin den Ekel, den das Gezeigte bei einem großen Teil des Publikums auslösen dürfte. Diese Momente sind heftig geraten und gleichzeitig sehr stimmungsvoll. Die ersten 70 Minuten von Spell sind zudem spannender Horror, bei dem die Figuren sich ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel liefern. An einem Plotpoint kurz vor dem Finale werden sich allerdings die Geister scheiden. Spell verändert den Stil und auch die Art der Inszenierung an diesem Punkt drastisch. In der Folge werden einige Plotholes geschaffen, was der vorherigen Inszenierung und der beklemmenden Atmosphäre entgegenwirkt. Am Ende sind es dann scheinbar Produktionsentscheidungen, die dem Werk etwas mehr Spektakel geben wollen und ein Ende, das nicht wirklich passen möchte.
Fazit
Nach einem ruhigen Anfang lädt Spell sein Publikum zu einem Horrortrip zu einer subkulturellen Religion ein. Dabei wird der Konflikt glaubhaft an den Protagonisten gekoppelt, der eine Reise zu seinen eigenen Wurzeln begeht. Über die Qualität des Finales aus dramaturgischer Perspektive lässt sich streiten, dennoch ist Spell ein solider, gelungener Horrorfilm, der durch seine Thematik besonders ist.
Infokasten
„Spell“
Regie: Mark Tonderai
Drehbuch: Kurt Wimmer
Produktion: LINK Entertainment, MC8 Entertainment, Paramount Pictures
Verleih: Paramount Pictures
Laufzeit: 91 Minuten (uncut)
USA, Südafrika | 2020
Veröffentlichung: Ab dem 23. September 2021 auf DVD und Blu-ray-Disc im Handel erhältlich.
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Thomas Heuer
Dr. phil. Medienwissenschaft
Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer
Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie
Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik