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Hörspiele & -bücher

„Die Zeitmaschine“ – Der Klassiker von H. G. Wells als Hörspiel

Werbematerial Folgenreich / Universal Music Werbematerial

Oliver Göring versucht die Modernisierung des Sci-Fi-Klassikers The Time Machine von H.G. Wells. Ihm gelingt ein spannendes Hörspiel mit vielen Hollywood-Stimmen.

Rezension

Oliver Dörings Hörspiel-Adaption des Science-Fiction-Klassikers The Time Machine von H. G. Wells ist nicht der erste Versuch, den einflussreichen Roman aus dem Jahr 1895 in das Medium des Hörspiels zu übersetzen. Herausgekommen ist ein spannendes, schön erzähltes Hörabenteuer, das viel Wert auf Figurenzeichnung legt und trotz sinnreicher Freiheiten in der Erzählung den Geiste des Originals wahrt. Das war dem Produzenten, Regisseur und Drehbuchautoren des Werks, Oliver Döring, durchaus wichtig. In einem Interview mit dem Verlag Universal Music, bei dem das Hörspiel erscheint, erklärte Döring, dass der „Spagat zwischen Werktreue und Modernisierung“ für ihn die größte Herausforderung gewesen sei.

Wie auch die Romanvorlage von H.G. Wells erzählt Dörings Die Zeitmaschine in zwei fast einstündigen Folgen die Erlebnisse eines Forschers auf dessen erster Reise durch die Zeit, nachdem es diesem gelungen ist, eine Zeitmaschine zu entwickeln. Im Original werden diese Erlebnisse durch den Forscher selbst in einer Runde aus Akademikern und Journalisten vorgetragen, sodass eine Erzählung innerhalb einer Erzählung vorliegt und man als Leserin oder Leser daran zweifeln kann, ob der Erlebnisbericht überhaupt der Wahrheit entspricht. Ganz in der Tradition klassischer Phantastik wird hier mit dem Status des Übernatürlichen gespielt: Am Ende verbleibt im Unklaren, ob die Zeitreise tatsächlich stattgefunden hat.

Diesen Konflikt rückt Dörings Adaption stärker in den Fokus, indem die Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts an eine Universität der 1970er Jahre verlegt wird und der geniale Forscher Jack (Hans-Georg Panczak) sich plötzlich hochschulinternen Ermittlungen wegen der Veruntreuung von Geldern gegenüber sieht. Während H. G. Wells in medias res mit der Zusammenkunft der Akademiker und Journalisten beginnt, entwickelt Döring so erst eine soziale Bewandtnis für dieses Zusammentreffen, das zugleich den Konflikt verschärft und Raum für die Figurenzeichnung eröffnet. Denn nicht nur geht es hier um Jacks Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler, sondern auch um einen konkreten Straftatbestand. Problematisiert wird dies noch durch die Tatsache, dass einer der gegen Jack ermittelnden Akademiker, Peter (Bernd Rumpf), ein guter Freund des Verdächtigten ist. Entsprechend wird in den Dialogen zu Beginn stark nach Beweisen für Jacks Glaubwürdigkeit gesucht. Neben dieser konkreteren Ausgestaltung der Nebenfiguren unterscheidet sich die Adaption von der Vorlage auch in der Motivation der Hauptfigur, der in Dörings Version viel daran liegt zu beweisen, dass sie die Wahrheit spricht. Hingegen Wells‘ Protagonist erwartet angesichts seiner tollkühnen Ausführungen gar nicht erst, dass man ihm glaubt (auch wenn er gewillt ist, durch eine zweite Zeitreise mehr Beweise zu liefern).

Das Hörspiel kommt ohne einen übergeordneten Erzähler aus – im Original ein zurückhaltender Ich-Erzähler – und entwickelt sich ganz aus seinen Dialogen, bis Jack mit der Erzählung seiner Zeitreise beginnt und zum Quasi-Erzähler wird. Aber auch sein Erlebnisbericht wird immer wieder durch Rückfragen seiner Zuhörerschaft durchbrochen und die Rezipienten derart in die Gegenwart der Erzählung zurückgerissen, was dem Hörspiel einen angenehm dynamischen Erzählstil verleiht. Derart ist die Erzählung der Zeitreise viel stärker mit der konkreten Erzählsituation verbunden als bei H. G. Wells, in dessen Roman das Treffen der Akademiker und Journalisten lediglich die Rahmung für die eigentliche Geschichte darstellt. Auch die Frage nach der moralischen Verantwortung der Wissenschaft ist bei Döring viel deutlicher ausgeprägt als im Original, dessen erzählerischer Schwerpunkt eher auf die Entwicklung der Menschheit vor dem Horizont gesellschaftspolitischer Entwicklungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ausgerichtet ist. Analog hierzu hätte Döring eine eigene Vision der zukünftigen Menschheit entwickeln können, aber das wäre vermutlich eine zu radikale Modernisierung gewesen, die den Stoff stark verändert hätte.

Man kann also feststellen, dass Döring die Modernisierung der Vorlage gelungen ist, diese aber auch mit individuellen Umdeutungen oder Betonungen einhergeht – was durchaus eine legitime Verfahrensweise für eine Adaption ist. Zudem sind mit Hans-Georg Panczak, Bernd Rumpf und Udo Schenk ausgezeichnete Sprecher an Bord, die aus zahlreichen Synchronisationen von Hollywood-Filmen bekannt sind und die, wie insgesamt alle Sprecher, eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Die Dialoge und Emotionen wirken glaubhaft. Das Ganze wird unterfüttert mit einem schlanken, aber stimmungsvollen Sounddesign.

Dörings Die Zeitmaschine ist eine ansprechende Modernisierung des Science-Fiction-Klassikers The Time Machine von H.G. Wells und ein spannendes Hörabenteuer, das durch eine dynamische Inszenierung und gut geschriebene Dialoge das Kopfkino so richtig ins Rollen bringt.

Infokasten

„Die Zeitmaschine“

Buch, Schnitt und Regie: Oliver Döring

Produktion: IMAGA – Alex Stelkens & Oliver Döring

Verlag: Folgenreich / Universal Music

Spielzeit: 2 Folgen à ca. 59  Minuten

Deutschland | 2017

Veröffentlichung: 29.09.2017 (CD / digital)

Letzte Änderung amMontag, 11 Februar 2019 18:34
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

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„Für die Spielbetreiber sind Charaktere in Online-Welten keine Bürger mit Rechten, sondern Kunden, die Geschäftsbedingungen zu akzeptieren haben.“

Cory Doctorow (in der taz)

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