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Denkanstoß: Deutsche Zensurpraxis - Entstellung oder notwendiger Schutz?

Filmausschnitt mit Logo von "I saw the Devil" Filmausschnitt mit Logo von "I saw the Devil"

In den letzten Wochen wurde leider wieder präsent, wie stark manche Filme in Deutschland gekürzt werden. Hierbei scheint es unerheblich, ob es sich bei dem vorliegenden Produkt um ein Kunstwerk handelt oder nicht. Ebenso wenig scheint von Bedeutung, ob die Filme auf renommierten Festivals liefen oder dort sogar Preise gewonnen haben. Wer mir bei Twitter folgt, wird bereits festgestellt haben, dass ich mich über die Kürzung von I Saw the Devil in der deutschen Standardedition beklagt habe.

Da der Film auf den Fantasy Filmfest Nights 2011 ungekürzt gezeigt wurde, wäre es - zwar mit Aufwand verbunden - ein leichtes die Unterschiede selbst heraus zu arbeiten. Die konkreten Unterschiede wurden bereits bei schnittberichte.com veröffentlicht und können dort eingesehen werden (1).

Aufgrund der hohen Gewaltdarstellung und dem damit verbundenen skrupellosen Umgang mit Menschenleben, könnte man eine Zensur des Filmes nachvollziehen, wäre es nicht so, dass es in Deutschland sehr einfach möglich ist, die ungekürzte Fassung von I Saw the Devil zu kaufen (2). In der Reihe der Black Editions ist der Film ungekürzt erschienen und besitzt auf Blu-ray-Disc dieselbe Lauflänge wie die ungekürzte Kinofassung (3). Interessant erscheint hierbei, dass beispielsweise bei amazon.de beide Versionen bestellt werden konnten, wenn auch nicht direkt über Amazon, sondern über einen Unterhändler. Ebenfalls auffällig ist, dass die Altersfreigabe "ab 18 Jahren" dem Kunden nicht die vollständige Version eines Filmes liefert. In besonders schweren Fällen, also bei Filmen die von der FSK keine Freigabe bekommen, gibt es die Option des Rechteinhabers, den Film mit dem Label „SPIO/JK geprüft: strafrechtlich unbedenklich“ auf den Markt zu bringen. Derartige Versionen dürfen zwar nicht direkt im Laden stehen, aber dennoch verkauft werden. Der Gedanke an Kundenunfreundlichkeit kommt einem natürlich nicht in den Sinn, gibt es doch in den Regalen die Version ab 18 Jahren. Die 18er-Version wurde um ca. 11 Minuten gekürzt, was allerdings nicht auf der Hülle vermerkt ist.

Kurz nach der Veröffentlichung des Filmes im Mai war es noch ohne Probleme möglich die Black Edition von I Saw the Devil (uncut) in Deutschland zu kaufen, zumindest konnte ich diese über das deutsche Amazon bestellen. Mittlerweile wird man bei amazon.de und amazon.at auf die gekürzte Fassung weitergeleitet. Verwendet man Google, um nach der Black Edition von I Saw the Devil zu suchen, ergibt sich eine Vielzahl von Treffern. Allerdings kann man die meisten der Seiten nicht mehr öffnen und sich lediglich die gegebenen Informationen unterhalb des Links durchlesen. Hieraus wird klar, dass die Black Edition bei einigen Händlern in Deutschland verkauft wurde (4). Es erscheint folglich so, als ob die Version nun endgültig in Deutschland verboten worden sei. Umso interessanter ist es, dass I Saw the Devil als Black Edition in Österreich noch immer gekauft und vor allem importiert werden kann (5).

Neben der Frage, warum überhaupt zwei Versionen eines Filmes, die beide mit Vollendung des 18. Lebensjahres in Deutschland gekauft werden dürfen, auf den Markt gebracht werden, stellt sich ebenfalls die Frage nach Sinn und Zweck der Kürzung. Ähnliche Fälle finden sich oft auf dem deutschen DVD-/Blu-ray-Markt. So gibt es beispielsweise gekürzte und ungekürzte Fassungen von Babysitter Wanted (6) oder Mum & Dad (7). Auffällig ist, dass immer auch die gekürzte Fassung ab 18 Jahren freigegeben wurde. Wenn beide Fassungen frei verkäuflich sind, stellt sich nun die entscheidende Frage: Warum gibt es dann zwei Versionen? Zusätzliche Einnahmen werden damit wohl kaum erwirtschaftet werden können. Die Kunden, die die gekürzte Fassung gekauft haben, fühlen sich über den Tisch gezogen. Folglich ist nicht sicher, dass Volljährigkeit einen Zugang zu ungekürzten Filmen liefert. Da der hier behandelte Nischenmarkt treue Fans hat, die auch bereit sind, etwas mehr Geld auszugeben und einen hören Aufwand zu betreiben, um die Filme ungekürzt zu sehen. Es scheint so, als rechtfertige die Freigabe ab 18 Jahren nicht mehr den Status eines ungekürzten Filmes. Ein Erwachsener in Deutschland hat somit nicht die Möglichkeit, sich mit den Filminhalten zu konfrontieren, die diesem gefallen oder interessieren.

Die hier als Beispiele verwendeten Filme sind für den Horror-Nischenmarkt weltweit produziert worden (8). Das bedeutet, dass die potenziellen Rezipienten dieser Filme, trotz eines Interesses an einem Werk, davon abgehalten werden dieses zu betrachten, da das Werk nicht komplett zur Verfügung steht. Umso erstaunlicher erscheint es dabei, dass diese Filme zumeist später als ungekürzte Fassungen den Markt erreichen. Ein erneutes Erscheinen der Filme wirkt verwunderlich, da die gekürzten Fassungen scheinbar keinen wirklichen Markt besitzen (9). Unabhängig, ob die Filme gut oder schlecht wahrgenommen werden, erscheint es unlogisch, die Filme mit einer Kürzung ab 18 Jahren freizugeben und nicht auf eine Kürzung hinzuweisen. Dass es auch anders geht, zeigt die Vergangenheit: So wird sowohl auf der Fassung ab 16 Jahren von Blade und From Dusk Till Dawn explizit auf die Kürzung hingewiesen (10). Dabei ist jedoch zu beachten, dass es zu beiden Filmen ebenfalls eine ungekürzte Fassung ab 18 Jahren gibt. Die Kürzung hier erscheint sinnvoll, um einen neuen Markt für die Filme zu erschließen.

Insgesamt erscheint die Sachlage undurchsichtig. Die Kürzung von Filmen, die ohnehin erst ab dem Erreichen der Volljährigkeit angesehen dürfen, wirkt skurril. Vielleicht sind einige Filme zu brutal für den Gesamtmarkt. Als Erwachsener aber sollte man in der Lage sein, sich über die Filme zu informieren, die man sehen will. Wahrscheinlich gibt es nicht genug Informationen für die Rezipienten, um ein Gesamtkunstwerk wie I Saw the Devil ungekürzt auf den Markt zu bringen. Die explizite Gewaltdarstellung, auch als sexuelle Gewalt, ist ein abschreckendes Beispiel. Vermutlich schreckt einen der Schnittbericht ab, entweder wegen der starken Kürzungen oder aber durch das große Aufkommen von Gewalt. Ob man sich mit Filmen wie I Saw the Devil konfrontieren möchte, sollte jeder selbst entscheiden. Allerdings bleibt der bittere Beigeschmack, dass es scheinbar doch möglich ist, ungekürzte Filme auf dem deutschen Markt zu vertreiben, wodurch man sich reingelegt vorkommt. So entsteht das Gefühl, dass man scheinbar doch nicht entscheiden darf, was man sehen will, selbst wenn man bereits erwachsen ist. (Thomas Heuer)

Quellenverweise

 1 http://www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=847718 und http://www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=386166. Die hier aufgeführten Links zeigen den Unterschied der koreanischen Kinofassung zur internationalen Fassung. Der zweite Artikel zeigt, wie die internationale Fassung auf den deutschen DVD-/Blu-ray-Fassungen gekürzt wurde.

 2 http://www.dvdparadies.at/Blu-Ray-Shop/FSK-18-Blu-ray/I-Saw-the-Devil-Black-Edition-Uncut-2010-FSK-18-Blu-ray.html oder

http://www.idealo.de/preisvergleich/Liste/26892370/i-saw-the-devil-black-edition-blu-ray.html. Das erste Beispiel ist eine Seite aus Österreich. Die zweite ist eine deutsche Seite, die den Handel zwischen Personen ermöglicht, die mit der Black Edition handeln wollen.

3 Bei 24p-Kinobildrate und 1920x1080 Full-HD-Blu-ray-Bildrate beträgt die Lauflänge ca. 142 Minuten.

4 http://www.google.de/search?q=i+saw+the+devil+black+edition&ie=utf-8&oe=utf-8&aq=t&rls (Zugriff am 18.06.2011)

http://www.beyond-media.at (26.06.2011)

6 http://www.amazon.de/Babysitter-Wanted-Sarah-Thompson/dp/B004AUDL6G/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1308485283&sr=8-1 (cut)

http://www.amazon.de/Babysitter-Blu-Ray-Version-Minuten-l%C3%A4ngeren/dp/B003AJV3TA/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1308485283&sr=8-2 (uncut)

 7 http://www.amazon.de/Mum-Dad-Perry-Benson/dp/B003IHOU3A/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1308485447&sr=8-3 (cut)

http://www.amazon.de/Mum-Dad-Minuten-l%C3%A4ngeren-Version/dp/B00406TISA/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1308485447&sr=8-1 (uncut)

8 Der koreanische Rachefilm sei darunter eingestuft, da die Grenze zwischen Asia-Extreme und Horror als sehr fließend gilt, siehe hierzu: Horror to the Extreme: Jinhee Choi und Mitsuyo Wada-Marciano (Hg.)(2009) Changing Boundaries in Asian Cinema, Hong Kong University Press, Hong Kong und Joan Hawkins (2009) „Culture Wars: Some New Trends in Art Horror“, in ejumpcut 2009, online unter: http://www.ejumpcut.org/archive/jc51.2009/artHorror/

9 http://forum.dvd-forum.at/blu-ray-filme-125/splendid-i-saw-devil-black-edition-113560.html. Ebenfalls hilfreich ist ein Durchstöbern der Kundenrezensionen bei Amazon.de zu den einzelnen Titeln.

10 http://www.amazon.de/Blade-Wesley-Snipes/dp/B00004RYRD/ref=sr_1_1?s=dvd&ie=UTF8&qid=1308487093&sr=1-1 (Blade)

http://www.amazon.de/Dusk-Till-Dawn-Gek%C3%BCrzte-Fassung/dp/B00004RYRE/ref=sr_1_1?s=dvd&ie=UTF8&qid=1308487162&sr=1-1 (From Dusk Till Dawn)

Letzte Änderung amFreitag, 18 August 2017 11:05
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Game Art is any art in which digital games played a significant role in the creation, production, and/or display of the artwork.“

Matteo Bittanti

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